Schuldenbremse und Übernahme kommunaler Liquiditätskredite

Die rheinland-pfälzischen Kommunen sind hoch verschuldet. Über das Ziel, diese zu entschulden, herrscht Einigkeit. Diskutiert wird jedoch, wie der Weg dorthin wirtschaftlich sinnvoll und rechtmäßig zu gestalten ist. Das Landeshaushaltsgesetz 2023/2024 sieht die Übernahme von 3 Milliarden € kommunaler Liquiditätskredite durch das Land vor. Dies wird von Verfassungsrechtlern überwiegend als rechtswidrige Umgehung der Schuldenbremse kritisiert und belastet die Landesfinanzen langfristig. In diesem Themenbeitrag werden die vom Rechnungshof identifizierten verfassungsrechtlichen und wirtschaftlichen Probleme der gewählten Art der Entschuldung dargestellt.

1. Zusammenfassung

Die Schuldenbremse verbietet grundsätzlich Krediteinnahmen und schützt so die finanzielle Solidität des Landes. Die Ausnahmen sind klar benannt und betreffen die kommunale Entschuldung nicht. Das Verbot der Krediteinnahmen erfasst auch Umgehungskonstruktionen. Die Schuldenbremse verhindert so, dass in der Gegenwart Maßnahmen umgesetzt werden, während die Finanzierungslasten in die Zukunft verlagert werden. Vielmehr soll in jedem Jahr nur umgesetzt werden, was aktuell auch finanzierbar ist.

Die Ermächtigung zur Übernahme von 3 Milliarden € Krediten in den Jahren 2023 und 2024 entspricht mehr als 9 % der Landesschulden und stellt in der Geschichte des Landes wahrscheinlich mit den höchsten Einsatz von Landesmitteln für eine Einzelmaßnahme dar. Hinzu kommen die Zinsen für die übernommenen Schulden. Denn die Finanzierungslasten der Maßnahme muss das Land lange tragen: Die Tilgung der Schulden soll bis zum Jahr 2053 erfolgen.

Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz hat in seinem Urteil vom 16. Dezember 2020 ausdrücklich die Entlastung der stark verschuldeten Kommunen als Aufgabe des Landes angemahnt. Eine Erwägung einer Schuldübernahme oder gar eine Anregung hierzu ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Die dem Land gestellte Aufgabe hätte über jährliche Tilgungszuschüsse an die betroffenen Kommunen rechtmäßig gelöst werden können.

Die stattdessen im Landeshaushaltsgesetz 2023/2024 vorgesehene Übernahme von 3 Milliarden € Schulden ist verfassungsrechtlich bedenklich. Würde das Land diese Kredite im Doppelhaushalt 2023/2024 durch eine Zahlung ablösen, würden bei der Finanzierung die Kreditgrenzen der Schuldenbremse um Milliarden überschritten. Das Landeshaushaltsgesetz 2023/2024 wäre insoweit verfassungswidrig. Es erscheint fraglich, dass das Vorgehen über eine Schuldübernahme statt einer Zahlung etwas an der Verfassungswidrigkeit ändert.

Die Rechtswissenschaft stuft die Schuldübernahme überwiegend als verfassungswidrige Umgehung der Schuldenbremse des Artikels 109 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz ein.1 Auch der Unabhängige Beirat des Stabilitätsrats betrachtet Versuche der Aufweichung der Schuldenbremse wie in Rheinland-Pfalz mit Sorge.

Dafür spricht, dass die Schuldübernahme wirtschaftlich wie eine Kreditfinanzierung wirkt: Die Landesschulden steigen und das Land muss künftig Zins und Tilgung zahlen. Das Land erweitert durch die Schuldübernahme auch seinen Ausgabespielraum, während die Lasten bis in das Jahr 2053 verlagert werden: Ohne die Schuldübernahme hätte das Land Barmittel für Tilgungszuschüsse bereitstellen müssen. Diese Mittel hätten zugleich durch Einsparungen gegenfinanziert werden müssen. Das Land vermeidet also die Gegenfinanzierung der 3 Milliarden € im Doppelhaushalt 2023/2024.

Ist die Schuldübernahme aus Umgehungsgesichtspunkten als Krediteinnahme im Sinne des Artikels 109 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz zu werten, räumt auch Artikel 117 Abs. 4 Landesverfassung die rechtlichen Bedenken nicht aus. Dieser sieht zwar eine Schuldübernahme ausdrücklich vor: Allerdings greift Artikel 109 Abs. 3 Sätze 1 und 5 Grundgesetz auch gegenüber der Landesverfassung durch.

Zudem könnten Tilgungszuschüsse wirtschaftlicher sein als eine Schuldübernahme. Denn für die Zustimmung zu einer Schuldübernahme verlangen die beteiligten Banken häufig Entgelte, sodass zusätzliche Kosten anfallen. Weiterhin könnten über mehrere Jahre gestreckte Tilgungszuschüsse an Konsolidierungserfolge geknüpft werden. So würde das Land den Kommunen einen zusätzlichen Anreiz zur Haushaltskonsolidierung bieten und es würde verhindert, dass während der Entschuldung neue Schulden angehäuft werden und die Maßnahme fehlschlägt.

Mit der Schuldübernahme geht das Land indessen in Vorleistung. Damit die eingesetzten hohen Mittel zur Entschuldung nicht wirkungslos bleiben, muss verhindert werden, dass die Kommunen neue Liquiditätskreditbestände aufbauen. Dazu sollten die Regelungen zur Kommunalaufsicht nachgeschärft werden. Dies ist nach Auffassung des Rechnungshofs bisher nicht in dem erforderlichen Maße geschehen.

Im Ergebnis spricht die Kombination aus verfassungsrechtlich bedenklicher Finanzierung, zusätzlichen Kosten und der massiven Vorleistung des Landes gegenüber den Kommunen bei gleichzeitig sich andeutender weiterhin erfolgender Duldung von Defiziten durch die Kommunalaufsicht gegen die gewählte Lösung. Nach wie vor ist aus Sicht des Rechnungshofs eine Entschuldung durch Tilgungszuschüsse erfolgversprechender, rechtssicherer und wirtschaftlich sinnvoller.


1 So Gröpl, in Scheller, Kommentar zum Haushaltsrecht und der Vorschriften zur Finanzkontrolle, Artikel 109 GG Rn. 93; Henneke, Zeitschrift für Gesetzgebung, 2022, S. 167 ff., der auch Bezug auf die kritischen Äußerungen von Kyrill-Alexander Schwarz und Hanno Kube nimmt; derselbe in Der Landkreis 8-9/2022, S. 366 ff. und 11/2022 S. 33 ff.; Reimer in Epping/Hillgruber, Beck’scher Onlinekommentar zum Grundgesetz, Artikel 109, Rn. 54-58; Schmidt NVwZ 2022, S. 756 ff.; kritisch auch Heintzen, NVwZ 2022, S. 1505, 1506 Fußnote 15; in einem ähnlichen Fall in Hessen bejaht das Rechtsgutachten vom 27. März 2019 von Gröpl Krediteinnahmen, rechnungshof.hessen.de/sites/rechnungshof.hessen.de/files/2022-03/gutachten_groepl.pdf (insbesondere S. 47 ff.), ebenso das Gutachten vom Mai 2019 von Oebbecke, S. 31 f. und 21 ff., unter rechnungshof.hessen.de/sites/rechnungshof.hessen.de/files/2022-03/gutachten_oebbecke.pdf (jeweils zuletzt abgerufen am 9. Februar 2023); zur Zulässigkeit des Vorgehens unter Hinweis auf die Vertretbarkeit der Gegenansicht gelangen hingegen die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages (Sachstand, WD 4 - 3000 - 070/22, S. 12 sowie vertiefend WD - 3000 - 086/22) und der Wissenschaftliche Dienst des Landtags Rheinland-Pfalz (Gutachten 52-1735 vom 23. März 2022, S. 17). Die Verfassungsmäßigkeit ausdrücklich bejahend Droege, NVwZ 2022, S. 770 ff. sowie derselbe in Brocker/Droege/Jutzi, Handkommentar zur Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2. Auflage, Artikel 117 Rn. 29d.