Jahresbericht 2021, Nr. 4 - Einteilung von Einkommensteuerfällen in Risikoklassen als Bestandteil des Risikomanagements

- personelle Risikoeinschätzung zu aufwendig -

Wesentliches Ergebnis der Prüfung

Fehlende Vorgaben für die Einordnung der Steuerfälle in Risikoklassen gefährdeten die Gleichmäßigkeit der Besteuerung.

Die aufgrund einer vollständigen Fallbetrachtung vorzunehmende Einteilung in Risikoklassen widerspricht dem Zweck des Risikomanagementsystems, den Aufwand der Steuerverwaltung durch punktuelle personelle Prüfungen zu begrenzen.

Die Gründe, die für die Einführung des Risikoklassenmodells maßgeblich waren, sind weitgehend entfallen.

Forderungen des Rechnungshofs · Stellungnahmen der Landesregierung · Parlamentarische Behandlung

(Teilziffer 3 des Jahresberichtsbeitrags)

Folgende Forderungen sind nicht erledigt:

Der Rechnungshof hat gefordert,

a) im Hinblick auf die gesetzlich geforderte Gleichmäßigkeit der Besteuerung die Vorgaben zur Auswahl und Gewichtung der Kriterien für die Einordnung der Steuerfälle in Risikoklassen zu präzisieren,

b) in den zuständigen Bund- und Ländergremien darauf hinzuwirken, dass eine verpflichtende Dokumentation der Überprüfung von Risikoklassen eingeführt und mittelfristig das Risikoklassenmodell aufgegeben wird.

Die Landesregierung hat für das Entlastungsverfahren zu dem Beitrag folgende Stellungnahme abgegeben (Drucksache 17/15003 S. 3):

"Es ist darauf hinzuweisen, dass nur eine ganz geringe Anzahl von gezielt ausgewählten Einzelfällen zu den Feststellungen geführt haben. Fälle der Risikoklasse 2, in die der überwiegende Teil der Fälle (80 %) eingeordnet ist, sind bei der Prüfung gänzlich außen vor geblieben. Insofern lassen sich die Feststellungen nicht auf das gesamte Risikoklassenmodell übertragen.

Das gesamte Personal des Innendienstes aus dem Veranlagungsbereich aller Dienststellen wurde im Umgang mit dem Risikomanagement und dem Risikoklassenmodell sensibilisiert und die Prüfungsfeststellungen beziehen sich überwiegend auf Zeiträume, bei denen die aufgrund der durchgeführten Schulungsmaßnahmen zu erwartenden Verbesserungen noch nicht zu erkennen waren. Die Überprüfungspflicht der Risikoklassen wird aber gleichwohl auch bei künftigen Fortbildungsveranstaltungen und Besprechungen thematisiert werden.

Zu Ziffer 3 a):

Nach den Konzeptvorgaben ist die Zuordnung einer Risikoklasse zwar auf Grundlage möglichst objektiver Kriterien durchzuführen, aber letztendlich beruht sie auf den Erfahrungen der Bearbeiterin bzw. des Bearbeiters den jeweiligen Steuerfall betreffend und einer Prognose des zukünftig zuerwartenden steuerlichen Risikos und ist damit einzelfallabhängig. Das Risikoklassenmodell trägt somit zur Gleichmäßigkeit der Besteuerung unter Beachtung des Gesamtvollzugs bei, indem die Erfahrungen der Bearbeiterin bzw. des Bearbeiters einfließen. Zudem ist damit gewährleistet, dass diese Erfahrungen auch bei Personalfluktuationen nicht verloren gehen. Eine Präzision der Vorgaben würde die Methodik des Risikoklassenmodells konterkarieren und ist nicht zielführend.

Zu Ziffer 3 b):

Die Generierung eines Dialoghinweises, welcher bei der Bearbeitung auf die Überprüfung der Risikoklasse hinweisen würde, ist in der zuständigen Arbeitsgruppe abgelehnt worden, sodass eine verpflichtende Dokumentation ohne gleichzeitige maschinelle Erinnerung nicht als angezeigt erscheint.

Des Weiteren gilt die bisher vergebene Risikoklasse fort, sofern seitens der Bearbeiterin bzw. des Bearbeiters kein Anpassungsbedarf besteht und es entsteht kein weiterer Aufwand. Die Fortschreibung der Risikoklasse ist ebenfalls bundeseinheitlich festgeschrieben. Sofern die Bearbeiterin bzw. der Bearbeiter auch in diesen Fällen die Gründe für die Beibehaltung der bestehenden Risikoklasse dokumentieren müsste, entstünde für zahlreiche Fälle ein zusätzlicher Bearbeitungsaufwand, der sich in der Summe aller Fälle auf die Personalressourcen auswirkteund in keinem angemessenen Verhältnis zum Ertrag (Kontrollzweck) stünde.

Darüber hinaus wird das Risikomanagement-(RMS-)Datenblatt stetig fortentwickelt. So ist z.B. eine historische Entwicklung der Risikoklasse pro Veranlagungszeitraum mit Einsatz der UNIFA-Version 7.3 (vsl. September2021) vorgesehen.

Das umfangreiche Wissen der Bearbeiterin bzw. des Bearbeiters zu den persönlichen Verhältnissen der bzw. des Steuerpflichtigen wird durch das Risikoklassenmodell automationstechnisch verwertbar und ginge bei der Abschaffung des Risikoklassenmodells verloren, sodass diese Forderung derzeit nicht unterstützt werden kann.

Zudem würde eine Änderung des Konzeptes RMS-Veranlagung 2.0 die Zustimmung der Steuerungsgremien erfordern."

Der Rechnungshof nimmt bei Bedarf zum Bericht der Landesregierung Stellung.

Zu Ziffer 3 a:

Zur Stellungnahme der Landesregierung zur Forderung, im Hinblick auf die gesetzlich geforderte Gleichmäßigkeit der Besteuerung die Vorgaben zur Auswahl und Gewichtung der Kriterien für die Einordnung der Steuerfälle in Risikoklassen zu präzisieren, merkt der Rechnungshof an:

Die Zuordnung einer Risikoklasse ist zwar einzelfallabhängig. Ein unterschiedlicher Er­fahrungsstand der Bearbeiter führt jedoch ohne präzisiere Vorgaben bei ähnlichen oder gleichgelagerten Fällen zu einer unterschiedli­chen Einschätzung des Steuerausfallrisikos.

Zu Ziffer 3 b:

Zur Stellungnahme der Landesregierung zur Forderung, in den zuständigen Bund- und Ländergremien darauf hinzuwirken, dass eine verpflichtende Dokumentation der Überprüfung von Risikoklassen eingeführt und mittelfristig das Risikoklassenmodell aufgegeben wird, merkt der Rechnungshof an:

Das Landesamt für Steuern hat im Rahmen des Beantwortungsverfahrens mitgeteilt, dass das RMS-Datenblatt dem Bearbeiter in komprimierter Form einen schnellen und umfassenden Überblick über den Steuerfall gibt. Durch die Abschaffung des Risikoklassenmodells würden diese Informationen nicht verloren gehen. Vielmehr liegen die für die Risikobeurteilung maßgeblichen Informationen grundsätzlich elektronisch vor. Sie könnten ohne zeitintensive personelle Würdi­gung durch eine maschinelle Auswertung berücksichtigt werden.

Der Haushalts- und Finanzausschuss hat auf der Grundlage des Vor­schlags der Rechnungsprüfungskommission dem Landtag folgenden Beschluss empfohlen (Drucksache 18/1075 S. 4):

"Es wird zustimmend zur Kenntnis genommen, dass die Historie der vergebenen Risikoklassen nachzuverfolgen sein wird.

Die Landesregierung wird aufgefordert,

a) einen Leitfaden zur Vergabe der Risikoklassen zur Unterstützung der Bearbeiter sowie von Fortbildungen zu erstellen,

b) die Notwendigkeit des Risikoklassenmodells bei der Bearbeitung von Einkommensteuerfällen und die damit verbundenen Feststellungen des Rechnungshofs in den für das Risikoklassenmodell zuständigen Bund- und Ländergremien zur Beratung einzubringen und über das Ergebnis zu berichten."

Der Landtag hat diesen Beschluss im September 2021 gefasst.

Die Landesregierung hat dem Landtag wie folgt berichtet (Drucksache 18/2128 S. 3):

"Zu Buchstabe a):

Der geforderte Leitfaden zur Vergabe der Risikoklassen zur Unterstützung der Bearbeiterinnen und Bearbeiter existiert bereits (Leitfaden „RMS-Datenblatt“). Der Leitfaden wird jährlich aktualisiert und darin sind u. a. auch mögliche Kriterien für die Risikoklassenvergabe aufgeführt. Die letzte Aktualisierung fand am 1. September 2021 statt. Darüber hinaus enthält auch der Leitfaden „RMS-Veranlagung 2.0“ Erläuterungen zum Risikoklassenmodell.

Bereits in den Jahren 2017 und 2018 ist ein umfangreiches RMS-Schulungskonzept entwickelt worden, bei dem neben den dienstjungen Bearbeiterinnen und Bearbeitern des Innendienstes und den Sachgebietsleitungen sowie Stellenwechselnden und Wiedereinzugliedernden das gesamte Personal des Innendienstes aus dem Veranlagungsbereich aller Dienststellen im Umgang mit dem Risikomanagement sensibilisiert wurde. Bei diesen Schulungsveranstaltungen wurde auch das Risikoklassenmodell umfangreich geschult. Die Feststellungen beziehen sich auf die Veranlagungszeiträume 2014 bis 2018 und betrachten damit überwiegend Zeiträume, bei denen die aufgrund der durchgeführten Schulungsmaßnahmen zu erwartenden Verbesserungen noch nicht zu erkennen waren.

Die Überprüfungspflicht der Risikoklassen wird aber auch bei künftigen Fortbildungsveranstaltungen – insbesondere bei den jährlich stattfindenden RMS-Schulungen für dienstjunge Bearbeiterinnen und Bearbeiter – thematisiert werden.

Zu Buchstabe b):

Die Notwendigkeit des Risikoklassenmodells bei der Bearbeitung von Einkommensteuerfällen und die damit verbundenen Feststellungen wurden in dem für das Risikoklassenmodell zuständigen Bund- und Ländergremium zur Beratung eingebracht und dort diskutiert.

Mit der Prüfung der Weiterentwicklung des Risikoklassenmodells wurde die Arbeitsgruppe „Evaluation und Risikoregeln“ (AG EVA) beauftragt. Die Ergebnisse und Konsequenzen daraus werden zwischen den Auftrag nehmenden Ländern Bayern und Nordrhein-Westfalen der Steuerungsgruppe RMS Veranlagung im Dezember 2022 erörtert.

Die Frage einer Dokumentation der Risikoklassenzuordnung wird bis zur Entscheidung über das Risikoklassenmodell aufgeschoben.

Über das Ergebnis wird unaufgefordert berichtet."

Der Haushalts- und Finanzausschuss hat auf der Grundlage des Vor­schlags der Rechnungsprüfungskommission dem Landtag empfohlen, die Landesregierung aufzufordern, "über die Ergebnisse der Erörterungen der Steuerungsgruppe RMS-Veranlagung der Auftrag nehmenden Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen" möglichst bald zu berichten (Drucksache 18/4302 S. 20).

Der Landtag hat diesen Beschluss im November 2022 gefasst.

Die Landesregierung hat dem Landtag wie folgt berichtet (Drucksache 18/5310 S. 29)

"Dem Anliegen des Rechnungshofs, die Notwendigkeit des Risikoklassenmodells bei der Bearbeitung von Einkommensteuerfällen und die damit verbundenen Feststellungen in den für das Risikoklassenmodell zuständigen Bund- und Ländergremien zur Beratung einzubringen, ist das Landesamt für Steuern nachgekommen. Eine Rückmeldung seitens der Gremien steht noch aus."

Die Landesregierung hat dem Landtag wie folgt berichtet (Drucksache 18/6307 S. 35):

"Die Erörterung der Steuerungsgruppe RMS-Veranlagung der auftragnehmenden Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen hat in der Zwischenzeit stattgefunden. Die Steuerungsgruppe kommt zu dem Ergebnis, dass das Risikoklassenmodell von den Beschäftigten in den Finanzämtern gut angenommen wird. Dabei bildet das Risikoklassenmodell die vor Einführung des Risikomanagementsystems (RMS) bereits praktizierte Vorgehensweise bei der Bearbeitung von Steuererklärungen und Gewinnermittlungen technisch nach und bringt so die Möglichkeit, neben rein objektiven Kriterien auch subjektive Komponenten bei der Beurteilung des Risikogehaltes eines Steuerfalls im System zu berücksichtigen.

Sowohl die Erfahrungswerte der Bearbeiterinnen und Bearbeiter als auch die Vertrauenswürdigkeit (Compliance-Faktor) der Steuerpflichtigen beeinflussen die Einstufung in die Risikoklassen (RK). Dies ermöglicht, die elektronische Prüfung der Steuererklärungen und Gewinnermittlungen durch das RMS zu steuern. Eine maschinelle Eingruppierung ist aufgrund der Vielzahl ggf. zu beachtender Kriterien und der meist fehlenden nachweisbaren eindeutigen Zusammenhänge zwischen Einzelkriterien und dem Risikogehalt eines Falles in eine Risikoklasse nur in Ausnahmen bzw. wenigen Fällen (z. B. RK 2 bei Neuaufnahme) möglich. Durch die im RMS-Datenblatt zur Verfügung gestellten Informationen werden die Bearbeiterinnen und Bearbeiter jedoch bei der Risikoklassenprognose maschinell größtmöglich unterstützt.

Die stetige Weiterentwicklung des RMS ist seit jeher eine Daueraufgabe der auftragnehmenden Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen und bleibt es auch für die Zukunft. Sie ist neben der Einarbeitung der Rechts- und Vordruckänderungen sowohl an der permanenten Evaluierung und Aktualisierung der unterschiedlichen Risikofilter als auch an einzelnen Veränderungen erkennbar.

Darüber hinaus wurden zwei Aufgabenanmeldungen in KONSENS („RMS statistische Analyse – variable Betragsgrenzen bei Risikoregeln“ sowie „KI und statistische Analyse im Verfahren RMS“) eingebracht, die ebenfalls wichtige Bausteine für die Weiterentwicklung des RMS darstellen. Beide Aufgabenanmeldungen haben das Ziel, die automationsgestützte Festsetzung von Steuerfällen zu verbessern. Eine Weiterentwicklung des Risikoklassenmodells ist auch abhängig von der Umsetzung dieser beiden Vorhaben. Das Risikoklassenmodell ist ein wesentlicher Bestandteil des Gesamtsystems. Seine zukünftige Beibehaltung und Ausgestaltung sollten grundsätzlich nicht isoliert geregelt werden, sondern in Zusammenhang mit strategischen Überlegungen zum Gesamtsystem.

Voraussetzung für eine Entscheidung über Änderungen am bisherigen Risikoklassenmodell sind messbare, belastbare und repräsentative Evaluierungsergebnisse. Anpassungen sollten auf aussagekräftigen Daten basieren, welche mit den derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln jedoch nur näherungsweise betrachtet werden können. Bis zur Schaffung der notwendigen Analysemöglichkeiten und der daraus gewonnenen Erkenntnisse (auch unter Einbeziehung der Ansätze „KI-Einsatz“ und „Variable Betragsgrenzen bei Risikoregeln“) hinsichtlich seiner Wirksamkeit wird daher derzeit am Risikoklassenmodell in der aktuellen Form festgehalten."

Der Haushalts- und Finanzausschuss hat auf der Grundlage des Vor­schlags der Rechnungsprüfungskommission dem Landtag empfohlen, die Angelegenheit im Rahmen des Entlastungsverfahrens für erledigt zu erklären (Drucksache 18/7526 S. 21).

Der Landtag hat diesen Beschluss im November 2023 gefasst.