Systematische Erhaltungsplanung von Gemeindestraßennetzen (2020)

Zusammenfassung

Mit dem vorliegenden Gutachten setzt der Rechnungshof die Reihe seiner Prüfungen zur Erhaltungspraxis und -strategie der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur in Rheinland-Pfalz fort.1 Aufgrund der Komplexität der Thematik legt diese Untersuchung den Fokus auf die Erhaltung der Gemeindestraßennetze (Fahrbahnen).

Als Straßenbaulastträger haben Kommunen nach § 11 Abs. 1 und 3 des Landesstraßengesetzes die Gemeindestraßen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand zu bauen, zu erhalten, zu erweitern oder sonst zu verbessern. Die Situation der kommunalen Straßen in Rheinland-Pfalz ist dabei gekennzeichnet durch einen wachsenden Erhaltungs- und Erneuerungsbedarf, dessen Ursachen neben der hohen Verschuldung vieler Kommunen u. a. auch in einer mangelnden Erhaltungsstrategie liegen.

Erhaltungsmanagement im Sinne dieses Gutachtens ist eine strategische Aufgabe, die geeignete Steuerungs- und Controllinginstrumente erfordert. Bei seinen Erhebungen hat der Rechnungshof deshalb den Schwerpunkt auf die Verfügbarkeit von Daten über den Zustand der Straßennetze, die Ermittlung des zu ihrer Erhaltung notwendigen Finanzbedarfs sowie die Einführung effektiver Steuerungsinstrumente gelegt.

Im Wege einer elektronischen Befragung von 192 rheinland-pfälzischen Gemeinden (Rücklaufquote: 91 %) wurde ermittelt, ob die Gemeinden über die für eine systematische Straßenerhaltung erforderlichen Fachdaten verfügen, regelmäßige Zustandserfassungen und  bewertungen der Straßennetze durchführen, den Erhaltungs- und Finanzbedarf unter dem Aspekt der Werterhaltung des Anlagevermögens sachgerecht ermitteln und mehrjährige Investitionsplanungen erstellen. Weitere Aspekte waren die Berücksichtigung der besonderen Schadensrisiken durch Extremwetterereignisse sowie die baufachliche Qualifikation in den zuständigen Verwaltungseinheiten.

Das Gutachten gibt Hinweise und Empfehlungen für die Optimierung der Erhaltungspraxis sowie für ein effektives Zusammenwirken von Fachverwaltung und Gemeinderat. Es zeigt auf, welche Entscheidungsgrundlagen von den Fachverwaltungen zu erarbeiten sind, damit Gemeinderäte ihre Verantwortung für die Zustandsentwicklung des örtlichen Straßennetzes und den Werterhalt des Anlagevermögens sachgerecht wahrnehmen können. Abgerundet wird das Gutachten durch vertiefende Erläuterungen, die sich an die für die Straßenerhaltung zuständigen Fachleute richten.

Aufgabe der systematischen Straßenerhaltung ist es, dem stetigen Wertverlust der Straßen entgegenzuwirken und ihre möglichen Nutzungsdauern wirtschaftlich auszuschöpfen. Hierzu bedarf es eines sachgerechten Erhaltungsmanagements und einer verlässlichen Budgetplanung. Deren Grundlagen sind eine i. d. R. im Turnus von fünf Jahren durchzuführende Zustandserfassung und -bewertung des innerörtlichen Straßennetzes sowie ein IT-gestütztes Straßeninformationssystem für die Erfassung und Verarbeitung der erforderlichen Daten.

Der Gemeinderat entscheidet auf Grundlage der von der Fachverwaltung erarbeiteten Unterlagen, welche Erhaltungsstrategie er in den kommenden Jahren verfolgen will. Für die Frage, welche Strategie geeignet ist, spielt die Größe des Straßennetzes eine wichtige Rolle.

Die Fachverwaltung kann schließlich auf dieser Grundlage die mittelfristig erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen ermitteln und die Erhaltungsplanung erstellen. Die erforderlichen Maßnahmen werden auf der Grundlage nutzwertanalytischer Überlegungen priorisiert, so dass der Gemeinderat eine konkrete Entscheidungsgrundlage für den mittelfristigen Investitionsplan und das jährliche Bauprogramm erhält.

Nach der Ausführung der Erhaltungsmaßnahmen sollte im Turnus der Zustandserfassung und -bewertung evaluiert werden, ob die angestrebte Netzqualität und Vermögenswerterhaltung erreicht worden sind. Auch über die Ergebnisse dieser Erfolgskontrolle sollte der Gemeinderat als Grundlage für seine weiteren Entscheidungen informiert werden.

Als Ergebnis ist festzuhalten, dass den meisten befragten Kommunen wesentliche Grundlagen für ein ordnungsgemäßes Erhaltungsmanagement und eine sachgerechte Investitionsplanung fehlen. 82 % der befragten Gemeinden hatten auch fünf Jahre nach Einführung der Doppik keine erneute Zustandserfassung und -bewertung ihrer Straßennetze durchgeführt. Etwa die Hälfte konnte keine Angaben zu der Art und Länge der durchgeführten Erhaltungsmaßnahmen machen. Lediglich rd. 2 % hatten einen vollständigen Überblick über die Aufbaudaten der Fahrbahnen ihres gesamten Straßennetzes. Vereinzelt kannten Gemeinden nicht einmal dessen Länge. Rund zwei Drittel der befragten Kommunen verfügten über keine aktuellen Untersuchungen zur Verkehrssituation und -entwicklung. Fehlende oder veraltete Verkehrsuntersuchungen bergen das Risiko, dass Erhaltungsmaßnahmen zu spät oder zu früh und / oder mit unangemessener Dimensionierung und damit im Ergebnis unwirtschaftlich geplant werden.

Verkehrsinfrastrukturen müssen ferner bei extremen Wetterereignissen funktionstüchtig bleiben. Ihrer Vulnerabilität (Verwundbarkeit durch schädliche Auswirkungen des Klimawandels) kommt daher wachsende Bedeutung bei der Priorisierung von Straßenerhaltungsmaßnahmen zu. Unter den befragten Gemeinden war das Bewusstsein für dieses Gefahrenpotenzial jedoch wenig ausgeprägt. Fast zwei Drittel kannten die bei Starkregen und anderen extremen Wetterereignissen kritischen Abschnitte ihres Straßennetzes nicht oder konnten keine Angaben dazu machen. Lediglich 22 der 61 Gemeinden, die nach eigenen Angaben Kenntnis von gefährdeten Stellen in ihrem Straßennetz hatten, planten Maßnahmen zur Entschärfung oder Beseitigung von Gefahrenstellen. Viele Gemeinden drohen somit durch Ereignisse wie Starkregen überrascht zu werden, die Straßen- und Brückenschäden mit z. T. lang dauernden Verkehrseingriffen (Sperrungen, Umleitungen) zur Folge haben können.

Auf Basis der Umfrageergebnisse hat der Rechnungshof eine als Pavement-Management-Index bezeichnete Kennziffer2 ermittelt, die Auskunft darüber gibt, in welchem Maße die befragten Gemeinden eine systematische Erhaltungsplanung tatsächlich umsetzen.

Im Ergebnis zeigt sich in allen drei Gemeindegruppen - Ortsgemeinden, verbandsfreien Gemeinden und kreisfreien Städten - erheblicher Verbesserungsbedarf. So liegt der durchschnittliche Umsetzungsgrad bei den Ortsgemeinden bei lediglich 30 % und 41 % bei den verbandsfreien Gemeinden. Der durchschnittlich höchste Umsetzungsgrad war mit 52 % bei den kreisfreien Städten festzustellen. Defizite liegen in allen Gemeindegruppen insbesondere bei den Aufbaudaten sowie den Zustandserfassungen und -bewertungen.

Werden die für einen Erhalt der Straßen notwendigen Daten nicht systematisch erhoben, fehlen Planungsgrundlagen, welcher Maßnahmen-Mix aus oberflächen- und substanzverbessernden Erhaltungsarbeiten unter Berücksichtigung der Nutzungsdauer und der Zustandsdaten der Straßen bedarfsgerecht und wirtschaftlich ist. Damit bestehen erhebliche Informationsdefizite bei der Festlegung der konkret durchzuführenden Einzelmaßnahmen, was das Risiko unwirtschaftlicher Entscheidungen erhöht. Ferner richteten sich Planungen teilweise ausschließlich nach der Kassenlage.

Ein bedarfsgerechter Einsatz der Erhaltungsmittel setzt voraus, dass notwendige Erhalungsmaßnahmen rechtzeitig vor der Ausweitung von Schäden erkannt und ausgeführt werden. Tatsächlich gelang es nur wenigen Gemeinden, die eingeplanten Finanzmittel gemäß den selbst erkannten Notwendigkeiten einzusetzen. In dem fünfjährigen Untersuchungszeitraum lagen die tatsächlichen Erhaltungsausgaben nach Angaben der Gemeinden jährlich im Durchschnitt rd. 20 % unter den geplanten Ansätzen von im Mittel 12.000 € je Netzkilometer. Diese Unterdeckung führt dazu, dass sich vorhandene oder im Entstehen begriffene Schäden in der überwiegenden Zahl der befragten Gemeinden ausweiten können und damit in Zukunft voraussichtlich zu deutlich höheren Erhaltungsausgaben führen werden.

Das Straßeninfrastrukturvermögen, das außer den Fahrbahnen u. a. auch Rad- und Gehwege, Brücken und Parkplätze umfasst, lag Ende 2015 im Durchschnitt der befragten Gemeinden um rd. 20 % unter den Werten der Eröffnungsbilanzen. Bei den Fahrbahnen betrug die Wertminderung des Anlagevermögens nach den Datensätzen von 43 Gemeinden im Mittel 38.000 € je Netzkilometer (Netz-km).

Nach der Einschätzung von 38 Gemeinden ergibt sich für dringend erforderliche investive und konsumtive Erhaltungsmaßnahmen an Fahrbahnen insgesamt ein Nachholbedarf von 170.000 € je Netz-km (Stand 1. Januar 2019). Hochgerechnet auf die Gesamtlänge der Gemeindestraßen in der jeweiligen Gemeindegruppe errechnet sich danach überschlägig ein Nachholbedarf für dringend erforderliche Erhaltungsmaßnahmen von rd. 915 Mio. € bei den kreisfreien Städten und von rd. 175 Mio. € bei den verbandsfreien Gemeinden. Für die Ortsgemeinden ist mangels Daten keine entsprechende Hochrechnung möglich. Legt man die Erhaltungsausgaben der letzten Jahre zugrunde, würde der Abbau des vorgenannten Nachholbedarfs mehr als 15 Jahre in Anspruch nehmen.

Für die Daueraufgabe der systematischen Straßenerhaltungsplanung ist in den Kommunalverwaltungen die entsprechende fachliche Kompetenz erforderlich. Die Umfrage hat jedoch gezeigt, dass rd. 30 % der Verbandsgemeinden und rd. 12 % der verbandsfreien Gemeinden keine Straßenbau-Ingenieure beschäftigten. Teilweise war in diesen Gemeinden auch kein sonstiges technisches Fachpersonal vorhanden. Gemeinden, die kein baufachlich qualifiziertes Personal für diese Aufgaben einsetzen, werden ihrer Bauherrenverantwortung nicht gerecht. Dies zeigt sich auch daran, dass alle Gemeinden ohne straßenbautechnisches Personal in der jeweiligen Gemeindegruppe nur einen unterdurchschnittlichen Pavement-Management-Index erreichten.

Die Tarif- und Besoldungsstruktur im öffentlichen Dienst und die demografische Entwicklung lassen für die kommenden Jahre einen zunehmenden Fachkräftemangel bei Ingenieuren erwarten. Mit Maßnahmen wie z. B. einem dualen Studium im Bereich Bauingenieurwesen zeigt das Gutachten hier Möglichkeiten auf, wie Kommunalverwaltungen auf diese größer werdende Herausforderung reagieren können.


  1. Zuvor bereits erschienen: Bericht nach § 111 LHO über die Erhaltung und den Zustand von Brücken in kommunaler Baulast vom 10. Oktober 2013, Beratende Äußerung nach § 88 Abs. 2 LHO über die Erhaltung des Landesstraßennetzes vom 18. August 2015, Brücken an Landesstraßen - zunehmende Verschlechterung des Bauwerkszustands - fehlende Erhaltungsstrategie -, Jahresbericht 2011 des Rechnungshofs Teil II - Nr. 22 vom 12. April 2011.
  2. Diese wird den Kommunen, die an der Erhebung teilgenommen haben, vom Rechnungshof zugesandt.