Gutachtliche Äußerung gemäß § 88 Abs. 3 Landeshaushaltsordnung zum "Zukunftskonzept Nürburgring"
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1 Vorbemerkungen
1.1 Prüfungsersuchen des Landtags
Der Landtag hat den Rechnungshof in seiner Sitzung am 30. August 2012 ersucht, sich gemäß § 88 Abs. 3 Landeshaushaltsordnung Rheinland-Pfalz (LHO) gutachtlich zu dem am 26. März 2010 durch die Landesregierung vorgestellten "Zukunftskonzept Nürburgring" zu äußern, insbesondere zu seiner konzeptionellen Entwicklung, seiner Finanzierung, seiner Umsetzung sowie der Sicherstellung der Rechtmäßigkeit durch die Landesregierung und/oder ihr nachgeordneter Behörden und Einrichtungen bis zum Zeitpunkt der Beantragung der Insolvenz der Nürburgring GmbH (NG) und ihrer Tochtergesellschaften. Das entsprechende Schreiben des Präsidenten des Landtags1 ging am 18. September 2012 beim Rechnungshof ein.
1.2 Gang und Gegenstand der Untersuchung
Der Rechnungshof hat Erhebungen bei verschiedenen Ministerien, der Staatskanzlei und der Landeshauptkasse sowie bei der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB)2 und der NG durchgeführt. Dabei wurden überwiegend Vorgänge von Mitte 2009 bis zur Beantragung der Insolvenz der NG am 20. Juli 2012 geprüft. In Einzelfällen wird auch auf Vorgänge nach diesem Stichtag eingegangen.
Vorgelegt wurden dem Rechnungshof rund 700 Akten und Ordner und zwei CDs mit 840 Dateien. Dabei handelte es sich um Unterlagen der Staatskanzlei, des Ministeriums der Finanzen (FM), des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur (ISIM), des damaligen Ministeriums des Innern und für Sport, des Ministeriums für Justiz und Verbraucherschutz, des Ministeriums für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung (MWKEL), des damaligen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau (MWVLW), der Landeshauptkasse, der NG, der ISB, des Amtsgerichts Bad Neuenahr-Ahrweiler und der Kreisverwaltung Ahrweiler.
Das ISIM hat mit Schreiben vom 9. November 2012 mitgeteilt, dass in den folgenden Ministerien keine Unterlagen zu den genannten Schwerpunkten der Prüfung des Rechnungshofs existieren: Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie; Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur; Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen; Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten.
Vorgänge, die aufgrund von beihilferechtlichen und vergaberechtlichen Beschwerden Gegenstand von Gerichtsverfahren oder Verfahren bei der Europäischen Kommission (EU-Kommission) sind, hat der Rechnungshof in dieser Gutachtlichen Äußerung nicht bewertet. Daher hat er zur Frage, wie die als öffentliche Infrastruktur eingestuften Investitionen in finanzwirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht zu bewerten sind, keine Aussage getroffen. Die Mitglieder des Haushalts- und Finanzausschusses (HuFA) des Landtags wurden hierüber in der Sitzung am 16. August 2012 unterrichtet. Der Rechnungshof geht in seiner Gutachtlichen Äußerung insoweit nur darauf ein, ob sich das Land hinreichend mit der Genehmigungsbedürftigkeit möglicher Beihilfen durch die EU-Kommission befasst hat.
Gegenstand dieses Gutachtens ist nicht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der NG, der Motorsport Resort Nürburgring GmbH (MSR) und der Congress- und Motorsport Hotel Nürburgring GmbH (CMHN), das diese Gesellschaften am 20. Juli 2012 beantragten. Mit Beschlüssen vom 24. Juli 2012 hat das Insolvenzgericht (Amtsgericht Bad Neuenahr-Ahrweiler) die vorläufige Eigenverwaltung des Vermögens der NG, der MSR und der CMHN angeordnet. Am 1. November 2012 eröffnete es das Insolvenzverfahren über das Vermögen der drei Gesellschaften. Dabei wurde Eigenverwaltung der Schuldnerinnen angeordnet. Die Geschäftsführer der NG wurden zum 31. Juli 2012 abberufen und durch Prof. Dr. Dr. Thomas B. Schmidt ersetzt. Sachwalter, der das Insolvenzverfahren überwacht, ist Rechtsanwalt Jens Lieser. Im Gläubigerausschuss ist das Land nicht vertreten. Ihm gehören Vertreter der ISB, der Arbeitnehmer, der Arbeitsagentur sowie der Gemeinden Nürburg und Müllenbach an. Zum Vorsitzenden wählte der Ausschuss den Vertreter der ISB.
Nach einer Mitteilung des Sachwalters in der gemeinsamen Sitzung des Innenausschusses und des Wirtschaftsausschusses am 20. März 2014 hat das Land gegenüber den drei insolventen Gesellschaften Forderungen i. H. v. 544 Mio. € geltend gemacht.
Ebenfalls nicht Gegenstand der Gutachtlichen Äußerung ist der am 27. November 2012 zwischen den NG-Eigentumsgesellschaften3, der Nürburgring Betriebsgesellschaft mbH4, dem Sachwalter und den NAG-Parteien5 geschlossene Vergleichsvertrag über die Rückgabe des Nürburgrings und die Begleichung noch ausstehender Zahlungen. Nach diesem Vertrag wurde das operative Geschäft rückwirkend ab dem 1. November 2012 von der Nürburgring Betriebsgesellschaft mbH durchgeführt. Die Vertragsparteien einigten sich auf die Begleichung oder Verrechnung gegenseitiger Forderungen. Im Ergebnis verzichteten die NG-Eigentumsgesellschaften auf mehr als die Hälfte der Mindestpachten von 10 Mio. € für den Zeitraum 5/2011 bis 10/2012 (für 2011/2012 auf 3,8 Mio. €6 und für 2012 auf 1,6 Mio. €7) und auf die Forderungen aus dem Formel 1-Konzessionsvertrag (5,09 Mio. € brutto8). Dem stand nach Angabe des Sachwalters der Vorteil gegenüber, möglichst zügig die Rückgabe der Liegenschaften zu erreichen, um mit Verfügungsgewalt über die Pachtsache im Rahmen des Insolvenzverfahrens das Verfahren zur Veräußerung auf den Weg zu bringen und gleichzeitig ein langwieriges und kostenintensives Klageverfahren zu vermeiden.
Nach Presseberichten wurde das Vermögen der NG-Eigentumsgesellschaften am 11. März 2014 für 77 Mio. € verkauft. Ein Entwurf der Darstellung der Sachverhalte und der Würdigungen zu den Textziffern (Tz.) 3 bis 10 wurde dem FM am 25. März 2014 elektronisch übermittelt. Am 8. April 2014 wurden diese Sachverhalte mit Vertretern des FM, des ISIM, des MWKEL, der ISB und der Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (E & Y) besprochen. Eine schriftliche Stellungnahme des Landes ging am 10. Juni 2014 beim Rechnungshof ein. Bestandteil dieser Stellungnahme war auch ein Schreiben von E & Y zur Verlässlichkeit der Planungen.
Der Entwurf der Darstellung der Sachverhalte zu Tz. 11 wurde dem FM am 14. Mai 2014 zugesandt. Auf eine Schlussbesprechung hat das FM im Einvernehmen mit dem Rechnungshof verzichtet. Eine schriftliche Stellungnahme des FM erhielt der Rechnungshof am 14. Juli 2014.
1.3 Frühere Prüfungen des Rechnungshofs
Der Rechnungshof hat sich im Zusammenhang mit der NG bereits mehrfach in Prüfungsmitteilungen, Stellungnahmen oder Gutachten geäußert. Im Wesentlichen betraf das die Betätigung des Landes bei der NG und deren Beteiligungsgesellschaften in den Zeiträumen 1993 bis 19989 und 2000 bis 200510, die Prüfung von Baumaßnahmen der NG und deren Beteiligungsgesellschaften11, die Querschnittsprüfung ausgewählter Personalkosten bei Gesellschaften mit Landesbeteiligung12, die Prüfung des Erwerbs der Beteiligung der NG an der Camp4fun GmbH & Co. KG13, die Gutachtliche Äußerung zur Finanzierung des Projekts "Nürburgring 2009" Teil I14 und II15, die Betätigung des Landes bei der CST16 sowie die Stellungnahmen nach § 102 Abs. 3 LHO zur Prüfung des Konzessionsvertrags über die Organisation der Formel 1-Rennveranstaltungen17 und zur Neuausrichtung und Umstrukturierung der NG18. Schließlich hat sich der Rechnungshof im Zusammenhang mit der Prüfung des Liquiditätspools des Landes mit der Finanzierung der NG befasst19. Die Ergebnisse der Äußerungen fanden Eingang in die Jahresberichte 2000 (Drucksache 13/6750, Tz. 27), 2006 (Drucksache 15/630, Nr. 20 bis Nr. 22), 2007/2008 (Drucksache 15/1900, Nr. 15), 2011 Teil II (Drucksache 15/5515, Nr. 20 und Nr. 21), 2010 (Drucksache15/4200, Nr. 15) und 2012 (Drucksache 16/850, Nr. 11 und Nr. 12). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf diese Prüfungen, die überwiegend Gegenstand des Parlamentarischen Entlastungsverfahrens waren, im Folgenden nur kurz eingegangen.
- Schreiben des Präsidenten des Landtags an den Rechnungshof vom 11. September 2012, Beschluss des Landtags vom 30. August 2012 und Drucksache 16/1493, siehe Anlage 1.
- Bis zum 31. Dezember 2011 Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Alleinbesitz des Landes, danach Anstalt öffentlichen Rechts unter Aufsicht des Landes.
- NG, MSR, CMHN, Cash Settlement & Ticketing GmbH (CST).
- Die Gesellschaft befindet sich im Alleinbesitz der NG. Sie wird ihre Geschäftstätigkeit Ende 2014 einstellen und in den Folgejahren abgewickelt werden.
- Nürburgring Automotive GmbH (NAG), Mediinvest GmbH, Marketing & Facility Management Nürburgring GmbH (MFM), Grüne Hölle Betriebsgesellschaft mbH (GHB), Grand Prix Rheinland-Pfalz GmbH & Co. KG und MI-Beteiligungs- und Verwaltungs GmbH.
- Statt der Mindestpacht von 5 Mio. € waren insgesamt nur 1,2 Mio. € geleistet worden, davon 511.650 € gezahlt und 688.350 € für Formel-Fahrzeuge verrechnet (jeweils Nettobeträge). Auf die Restzahlung der 3,8 Mio. € wurde verzichtet.
- Statt der anteiligen Mindestpacht für das halbe Jahr von 5 Mio. € (50 % von 10 Mio. €) wurde ein Betrag von 3,4 Mio. € vereinbart (jeweils Nettobeträge).
- Nach den zur Sitzung des Aufsichtsrats der NG vom 23. Januar 2012 zu TOP 5 vorgelegten Unterlagen betrug die Bruttoforderung der NG 5,09 Mio. €, während die NAG nur 3 Mio. € brutto zahlen wollte.
- Prüfungsmitteilungen vom 24. August 2000, Az.: 4-5626/93-98.
- Prüfungsmitteilungen vom 29. September 2006, Az.: 4-P-4450-32-2/2000-2005.
- Prüfungsmitteilungen vom 30. November 2005, Az.: 2-5626/2003.
- Prüfungsmitteilungen vom 4. August 2006, Az.: 4-5200c/2005.
- Prüfungsmitteilungen vom 1. Dezember 2009, Az.: 4-P-4450.19-32-2/2009.
- Äußerung vom 15. Juni 2010, Az.: 4-P-4450-32-10/2009, und Drucksache 15/4741.
- Vertrauliche Äußerung vom 15. Juni 2010, Az.: 4-P-4450-32-10/2009.
- Prüfungsmitteilungen vom 26. Januar 2011, Az.: 4-P-4450.18-32-2/2009.
- Stellungnahme vom 28. Oktober 2011, Az.: 4-P-4450-32-12/2010.
- Stellungnahme vom 12. Januar 2012, Az.: 4-P-4450-32-12/2010.
- Prüfungsmitteilungen vom 22. Dezember 2010, Az.: 4-P-2012-32-1/2010.