Erhaltung des Landesstraßennetzes - Beratende Äußerung gemäß § 88 Abs. 2 LHO (2015)

Vorbemerkungen

Eine qualitativ und quantitativ leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist eine grundlegende Voraussetzung für die Mobilität der Bürger und der Wirtschaft, den Wohlstand sowie die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. In Rheinland-Pfalz umfasst das Netz der Bundesfern-, Landes- und Kreisstraßen insgesamt 18.391 km. Davon entfallen 7.236 km auf Landesstraßen1. Mit einer Streckenlänge von 927 m/km2 hat Rheinland-Pfalz damit das dichteste klassifizierte Straßennetz in der Bundesrepublik Deutschland und mit 364 m/km2 knapp hinter Nordrhein-Westfalen das zweitdichteste Landesstraßennetz.

Wirtschaftlicher Eigentümer der Landesstraßen ist der Landesbetrieb Mobilität (LBM), dem es nach § 11 Landesstraßengesetz (LStrG) obliegt, die Straßen nach seiner Leistungsfähigkeit in einem dem regelmäßigen Verkehrsbedürfnis genügenden Zustand zu bauen, zu unterhalten, zu erweitern oder sonst zu verbessern. Der Wert des Betriebsvermögens, das der LBM im Wert erhalten und möglichst steigern soll2, betrug zum 31. Dezember 2013 insgesamt 4,35 Mrd. €3. Davon entfielen 2,76 Mrd. € auf Straßenbauwerke (Landesstraßen und Radwege).

Die Situation der Verkehrsinfrastruktur ist bundesweit gekennzeichnet durch einen wachsenden Erhaltungs- und Erneuerungsbedarf, dessen Ursachen zu suchen sind in

  • den aus steigenden Verkehrszahlen und Achslasten resultierenden mechanischen Belastungen4,
  • witterungsbedingten Belastungen, die sich aufgrund des Klimawandels in Zukunft voraussichtlich erhöhen werden5,
  • einem schleichenden, sich zunehmend beschleunigenden Substanzverzehr,
  • einer z. T. ungünstigen Altersstruktur von Straßen und Brücken sowie
  • der Materialqualität und dem Ermüdungsverhalten der verwendeten Baustoffe.

Dieser wachsende Erhaltungs- und Erneuerungsbedarf stellt ein erhebliches Risiko für den Landeshaushalt dar. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass sich die technischen, sozialen, ökologischen und organisatorischen Anforderungen an das Verkehrssystem "Straße" in Zukunft ändern werden und finanzwirksame Anpassungsmaßnahmen erfordern können. Zu nennen sind hier insbesondere

  • die Mobilitäts- und Sicherheitsbedürfnisse einer aufgrund des demografischen Wandels wachsenden Zahl älterer Verkehrsteilnehmer,
  • die Einführung von Telematik- und Fahrassistenzsystemen,
  • die Reduktion der straßen- und verkehrsbedingten Umwelt- und Klimabelastungen (Lärm- und Schadstoffsanierungen) sowie des Energieverbrauchs durch Einsatz anderer Energieträger und alternativer Antriebe,
  • die stärkere Integration der Straße in das Gesamtsystem Verkehr durch Beeinflussung der Verkehrsmittelwahl (Modal Split) sowie durch technische und organisatorische Maßnahmen zur Verknüpfung unterschiedlicher Verkehrssysteme.

Die von der Verkehrsministerkonferenz im Dezember 2011 eingesetzte Kommission "Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung"6 ging von einer permanenten Unterfinanzierung der Straßenerhaltung im Bereich aller Straßenbaulastträger von jährlich mindestens 4,7 Mrd. € (Stand 2012) aus. Da dies aus den Steuereinnahmen des Verkehrsbereichs nicht finanziert werden kann, erarbeitete eine weitere im April 2013 eingesetzte Kommission7 konkrete Vorschläge zur Lösung des Finanzierungsproblems. Auf dieser Grundlage beschloss die Verkehrsministerkonferenz im Oktober 2013, das Finanzierungssystem von der bisherigen Haushaltsfinanzierung in stärkerem Maße - insbesondere beim Lkw-Verkehr - auf eine Nutzerfinanzierung umzustellen und die Mittel über spezielle Fonds dem Zweck "Verkehrsinfrastruktur" zu widmen. Eine dritte im August 2014 von dem Bundesminister für Wirtschaft und Energie eingesetzte Expertenkommission "Stärkung von Investitionen in Deutschland" hat die Gründung von Infrastrukturgesellschaften für Kommunen und für die Bundesfernstraßen sowie eine Finanzierung öffentlicher Investitionen durch Bürgerfonds und einen öffentlichen Infrastrukturfonds des Bundes und der Länder vorgeschlagen8. Innerhalb der Kommission waren die Vorschläge zu den neuen Finanzierungsinstrumenten jedoch umstritten. Ein Teil der Experten hat in einer "ergänzenden und abweichenden Position" u. a. darauf hingewiesen, dass die private Finanzierung immer teurer sei als eine Finanzierung aus Steuermitteln und direkten Kreditaufnahmen durch den Staat9.

In Rheinland-Pfalz verständigten sich die die Landesregierung tragenden Parteien in dem Koalitionsvertrag 2011-2016 darauf, "die Zielsetzung, verstärkt in den Unterhalt von Landesstraßen und Brücken statt in den Neubau zu investieren, fortzusetzen und zu intensivieren"10. An anderer Stelle des Koalitionsvertrags wird darauf hingewiesen, dass der LBM einen Beitrag zur Einhaltung der Schuldenbremse leisten werde und dafür das Volumen seiner Baumaßnahmen signifikant reduzieren müsse11.

Der letztmalig von dem Ingenieurbüro SEP12 Maerschalk im Jahr 2008 gutachterlich13 ermittelte Nachholbedarf für die Fahrbahnen der Landesstraßen in Rheinland-Pfalz betrug 205 Mio. €. Da seitdem eine Fortschreibung unterblieben ist, hat der Rechnungshof das Ingenieurbüro SEP Maerschalk beauftragt, die von dem LBM in den Jahren 2007 bis 2012 praktizierte Erhaltungsstrategie zu evaluieren und den aktuellen Nachholbedarf für die bauliche Erhaltung des Landesstraßennetzes zu ermitteln.

Das Ergebnis dieser Evaluation ergänzt eigene Untersuchungen des Rechnungshofs. Die beratende Äußerung knüpft darüber hinaus an die Ergebnisse früherer Prüfungen an, welche die Erhaltung und den Zustand der Brücken an Landesstraßen, die Einstufung und Netzstruktur der Landesstraßen sowie die Unterhaltung der beim Neu- und Ausbau von Landesstraßen angelegten landespflegerischen Kompensationsflächen betreffen. Bereits bei diesen Prüfungen zeigte sich, dass Probleme bei der ordnungsgemäßen Unterhaltung der Verkehrsinfrastruktur in Rheinland-Pfalz bestehen14. Die Verkehrssicherheit ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung, da sie - für sich genommen - wenig aussagt über Qualität und Erhaltungszustand der baulichen Substanz von Straßen und Ingenieurbauwerken15.

Ausgehend von den oben dargestellten Überlegungen hat der Rechnungshof folgende Fragestellungen näher untersucht:

  • Ist der Wert des Straßeninfrastrukturvermögens seit Gründung des Landesbetriebs im Jahr 2002 erhalten worden?
  • Wie hat sich der Zustand der Landesstraßen seitdem entwickelt?
  • Vermitteln die Zustandsbewertungen der Fahrbahnoberflächen ein hinreichend aussagekräftiges Bild über den Erhaltungszustand der Straßensubstanz?
  • Wie haben sich die Ausgaben für die Erhaltung der Landesstraßen in der Dekade 2004 bis 2014 entwickelt?
  • Wie werden die in den Haushaltsplänen des Landes enthaltenen Bauprogramme des LBM operativ umgesetzt?
  • Ist die derzeitige Erhaltungspraxis des LBM wirtschaftlich im Sinne des Lebenszyklusansatzes, indem sie den Substanzverzehr des Infrastrukturvermögens verhindert und ein auf Dauer intaktes und leistungsfähiges Landesstraßennetz gewährleistet?
  • Welche Informationen über die Entwicklung und den Erhaltungszustand des Infrastrukturvermögens des LBM werden als Grundlage für Budgetentscheidungen, für die Definition strategischer Ziele und für Erfolgskontrollen benötigt?

Das Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur hat mit Schreiben vom 7. Juli 2015 eine mit dem LBM abgestimmte Stellungnahme zu dem Entwurf der Beratenden Äußerung abgegeben und diese mit Schreiben vom 21. Juli 2015 ergänzt. Darüber hinaus hat der Rechnungshof seine Feststellungen in einer Schlussbesprechung am 21. Juli 2015 mit dem Ministerium und dem LBM erörtert. Wesentliche Äußerungen sind im Folgenden wiedergegeben.


  1. Betriebsstreckenlängen Straßenlängenverzeichnis des Landesbetriebs Mobilität, Stand 1. Januar 2015. Insgesamt umfasst das klassifizierte Straßennetz (Bundesfern-, Landes- und Kreisstraßen) in Deutschland 230.377 Streckenkilometer. Davon entfallen 86.210 km auf Landesstraßen.
  2. Vgl. § 3 Abs. 2 der Organisationsverfügung für den Landesbetrieb Straßen und Verkehr Rheinland-Pfalz vom 20. Dezember 2001.
  3. Vgl. Geschäftsbericht 2013 des LBM (https://lbm.rlp.de/de/service/informationsmaterial/geschaeftsbericht/). Aktuellere Daten liegen dem Rechnungshof bislang nicht vor.
  4. Im Jahr 2012 gab es in Deutschland rund 52 Millionen Kraftfahrzeuge mit einer Verkehrsleistung von 913,2 Mrd. Personenkilometern (Pkm) im Personenverkehr und einer Transportleistung von 447 Mrd. Tonnenkilometern (tkm) im Güterverkehr. Das ist annähernd das 63-fache der im Jahr 1950 gemessenen Güterverkehrsleistung von 7,1 Mrd. tkm. Folgt man einer Prognose des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur aus dem Jahr 2014, sollen bis zum Jahr 2030 die Verkehrsleistung im Personenverkehr auf 1.329 Mrd. Pkm und die Transportleistung im Güterverkehr auf 607,4 Mrd. tkm ansteigen. Im Güterverkehr in Rheinland-Pfalz ist danach mit einem Wachstum von 294 Mio. t (2010) auf 333,3 Mio. t (2030) zu rechnen; vgl. Lippold, C.: Der Elsner 2015, Handbuch für Straßen- und Verkehrswesen, Dieburg, 2014; Schubert, M. et al.: Verkehrsverflechtungsprognose 2030, Forschungsberichte FE-Nr. 96.0981/2011 und 98.0981/2011 vom 11. Juni 2014, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur.
  5. Z. B. Frost oder Starkregenereignisse, die zu Hang- und Böschungsrutschungen sowie zur Unterspülung von Straßen führen können, sowie Hitzeschäden, z. B. Blasenbildung oder Spurrinnen und bleibende Verformungen aufgrund der bei hohen Temperaturen abnehmenden Steifigkeit und Wärmestandfestigkeit des Bitumens.
  6. Siehe Bericht der Kommission "Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung" unter der Leitung des Staatsministers a. D. Karl-Heinz Daehre vom Dezember 2012, http://www.vifg.de/_downloads/service/Bericht-Daehre-Zukunft-VIF-Dez-2012.pdf.
  7. Siehe Konzeptdokument der Kommission "Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturfinanzierung" unter der Leitung des Bundesverkehrsministers a. D. Kurt Bodewig vom 30. September 2013,
    http://www.vifg.de/_downloads/service/Bericht_Bodewig-Kommission_13-10-02.pdf.
  8. Stärkung von Investitionen in Deutschland, Bericht der Expertenkommission im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, Berlin, April 2015.
    https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Publikationen/Studien/staerkung-von-investitionen-in-deutschland.html
  9. A. a. O., S. 13.
  10. Koalitionsvertrag Rheinland-Pfalz 2011-2016. Den sozial-ökologischen Wandel gestalten, S. 62 - "Landesstraßenbau: Erhalt vor Neubau".
  11. A. a. O., S. 67 - "Keine weiteren Steuersenkungen zulasten der Länder" -.
  12. Systematische Erhaltungsplanung.
  13. Vgl. SEP Maerschalk "Erstellung einer Dringlichkeitsreihung und Hinweise zum Erhaltungs- und Ausbaubedarf für die Landesstraßen in Rheinland-Pfalz", Schlussbericht vom 12. Juni 2008 zum Gutachten im Auftrag des Landesbetriebs Mobilität Rheinland-Pfalz, München, 2008.
  14. Vgl. Jahresbericht 2011 - Teil II Nr. 22 Brücken an Landesstraßen - zunehmende Verschlechterung des Bauwerkszustands - fehlende Erhaltungsstrategie - (Drucksache 15/5515). Jahresbericht 2013 Nr. 13 Landesstraßen - fehlerhafte Einstufungen, redundante Netzbeziehungen, fortschreitender Substanzverzehr - (Drucksache 16/2050). Jahresbericht 2014 Nr. 14 Landespflegerische Kompensationsmaßnahmen im Bereich des Straßenbaus - erheblicher Nachholbedarf bei Pflegevorhaben und -konzepten - (Drucksache 16/3250) .
  15. Eine Straße oder Brücke, die sich baulich in einem schlechten und ggf. erneuerungsbedürftigen Zustand befindet, gilt als verkehrssicher, solange eine hinreichend sichere Benutzung durch Geschwindigkeits- und/oder Lastbeschränkung gewährleistet ist und die Verkehrsteilnehmer durch entsprechende Warnzeichen auf Problem- und Gefahrenstellen hingewiesen und zu einer adäquaten Fahrweise angehalten werden.