Jahresbericht 2021, Nr. 11 - Finanzaufsicht der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion über defizitär wirtschaftende Kommunen

- weitgehend unwirksam -

Wesentliches Ergebnis der Prüfung

Der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion obliegt die Finanzaufsicht über 44 Städte und Landkreise. In den Jahren 2015 bis 2019 legten diese der Aufsicht insgesamt 162 Satzungen über defizitäre Haushalte vor. Das entsprach 74 % der eingereichten Haushalte. Die Defizite beliefen sich in den Ergebnishaushalten auf insgesamt 1,9 Mrd. €, in den Finanzhaushalten auf 1,5 Mrd. €. 65 Satzungen betrafen Kommunen, die bereits bilanziell überschuldet waren oder zum Ende des jeweiligen Haushaltsjahres erstmals ihre bilanzielle Überschuldung prognostizierten.

Die Einhaltung des gesetzlichen Haushaltsausgleichsgebots war nicht sichergestellt. Die Städte planten in den meisten Fällen nicht unter gebotener Ausschöpfung der Realsteuern. Für kaum einen Landkreis war nachgewiesen, dass eine Erhöhung der Kreisumlage auszuschließen war.

Gleichwohl ergriff die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion mit Ausnahme von drei Haushalten eines Landkreises keine finanzaufsichtlichen Maßnahmen zur Änderung rechtswidriger Haushaltssatzungen.

Sie genehmigte entgegen dem gesetzlichen Regelversagungsgebot Investitionskredite von 1,3 Mrd. € und Verpflichtungsermächtigungen von 0,7 Mrd. €, obwohl die Kommunen in keinem Jahr des Prüfungszeitraums einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt hatten und teilweise bereits überschuldet waren. Die Genehmigungen versah sie häufig mit Maßgaben, deren Einhaltung sie nicht überwachte.

Die Geschäftsabläufe in der Finanzaufsicht waren optimierungsbedürftig. Es fehlte an Grundlagen für einen wirksamen und gleichmäßigen Verwaltungsvollzug. Der Begründungsaufwand für zahlreiche Haushaltsverfügungen, mit denen Genehmigungen erteilt und keine belastenden aufsichtlichen Maßnahmen ergriffen wurden, war unverhältnismäßig.

Forderungen des Rechnungshofs · Stellungnahmen der Landesregierung · Parlamentarische Behandlung

(Teilziffer 3 des Jahresberichtsbeitrags)

3.1 Zu den nachstehenden Forderungen wurden die gebotenen Folgerungen bereits gezogen oder eingeleitet:

Der Rechnungshof hatte gefordert,

a) in Haushaltsverfügungen auf die Erhebung vorläufiger Bedenken wegen Rechtsverletzung gegen das Haushaltsausgleichsgebot missachtende Vorschriften einer Haushaltssatzung zu verzichten,

b) Rechtsbedenken rechtzeitig vor Erlass der Haushaltsverfügung schriftlich zu erheben,

c) in Haushaltsverfügungen keine Scheinbeanstandungen zu tenorieren,

d) die notwendigen Grundlagen für eine sachgerechte Wahrnehmung der Finanzaufsicht zu schaffen, insbesondere die Einrichtung eines softwaregestützten Risikobewertungssystems zu prüfen.

3.2 Folgende Forderungen sind nicht erledigt:

Der Rechnungshof hat gefordert,

a) von Beanstandungen mit Maßgaben für den Haushaltsvollzug, aber ohne Auswirkung auf die Bekanntmachung rechtswidriger Haushaltssatzungen, Abstand zu nehmen,

b) von bloßen Feststellungen zur Rechtswidrigkeit unausgeglichener Haushalte in Haushaltsverfügungen grundsätzlich abzusehen,

c) künftig - außer in rechtlich begründeten Ausnahmefällen - unausgeglichene Haushalte konsequent zu beanstanden und nötigenfalls die Vorlage rechtmäßiger Haushaltssatzungen anzuordnen,

d) vor einer ausnahmsweisen Genehmigung von Investitionskrediten für leistungsunfähige Kommunen das Vorliegen der Ausnahmetatbestände aufsichtlich zu prüfen,

e) die Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit der finanzaufsichtlichen Tätigkeit zur Gewährleistung einer rechtmäßigen kommunalen Haushaltswirtschaft erheblich zu verbessern.

Die Landesregierung hat für das Entlastungsverfahren zu dem Beitrag folgende Stellungnahme abgegeben (Drucksache 17/15003 S. 26):

"Zu Ziffer 3.2 a):
Eine Umsetzung der Forderung, von Beanstandungen mit Maßgaben für den Haushaltsvollzug, aber ohne Auswirkung auf die Bekanntmachung rechtswidriger Haushaltssatzungen, Abstand zu nehmen, hätte zur Folge, dass die betroffenen kommunalen Gebietskörperschaften in die vorläufige Haushaltsführung (§ 99 Gemeindeordnung – GemO) gerieten und – vereinfacht dargestellt – freiwillige Aufgaben nicht mehr erfüllen sowie neue Maßnahmen nicht beginnen dürften. Solche drastischen Maßnahmen erscheinen nach Bewertung der Landesregierung kaum zielführend.

Zu Ziffer 3.2 b):
Die Landesregierung wird die Prüfungsfeststellungen, von bloßen Feststellungen zur Rechtswidrigkeit unausgeglichener Haushalte in Haushaltsverfügungen grundsätzlich abzusehen, mit dem Präsidenten der Oberen Kommunalaufsichtsbehörde erörtern und auf Umsetzung hinwirken.

Zu Ziffer 3.2 c):
Die Landesregierung wird die Prüfungsfeststellungen, künftig – außer in rechtlich begründeten Ausnahmefällen – unausgeglichene Haushalte konsequent zu beanstanden und nötigenfalls die Vorlage rechtmäßiger Haushaltssatzungen anzuordnen, mit dem Präsidenten der Oberen Kommunalaufsichtsbehörde erörtern. Sofern indes eine Anordnung (i. S. d § 122 GemO) der Vorlage rechtmäßiger Haushaltssatzungen ins Leere läuft, bliebe als nächstes Mittel nur die Ersatzvornahme (gemäß § 123 GemO). Der gleichzeitige oder zeitnahe Vollzug mehrerer Ersatzvornahmen dürfte aus praktischen Gründen scheitern.

Zu Ziffer 3.2 d):
Die Landesregierung wird die Forderung, vor einer ausnahmsweisen Genehmigung von Investitionskrediten für leistungsunfähige Kommunen das Vorliegen der Ausnahmetatbestände aufsichtlich zu prüfen, mit dem Präsidenten der Oberen Kommunalaufsichtsbehörde erörtern und auf die Umsetzung hinwirken.

Zu Ziffer 3.2 e):
Die Landesregierung wird die Forderung, die Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit der finanzaufsichtlichen Tätigkeit zur Gewährleistung einer rechtmäßigen kommunalen Haushaltswirtschaft zu verbessern, mit dem Präsidenten der Oberen Kommunalaufsichtsbehörde erörtern und auf Umsetzung hinwirken. Die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und der Wirksamkeit der finanzaufsichtlichen Tätigkeit stellt sich dabei als Daueraufgabe."

Der Rechnungshof nimmt bei Bedarf zum Bericht der Landesregierung Stellung.

Zu Ziffer 3.2 a:

Zur Stellungnahme der Landesregierung zur Forderung, von Beanstandungen mit Maßgaben für den Haushaltsvollzug, aber ohne Auswirkung auf die Bekanntmachung rechtswidriger Haushaltssatzungen, Abstand zu nehmen, bemerkt der Rechnungshof:

Er teilt vor dem Hintergrund der verfassungs­rechtlich angeordneten Gesetzesbindung der Verwaltung die Auf­fassung, dass vor allem die Kommunen selbst bestrebt sein sollten, rechtskonforme Haushalte zu beschließen. Tun sie dies allerdings nicht, - wie dies die Praxis der letzten Jahrzehnte zeigt - bleibt es Aufgabe der Kommunalaufsicht, mit den gesetzlich vor­gesehenen Mitteln für den Haushaltsausgleich Sorge zu tragen. Der Gesetzgeber hat die damit verbundenen Rechtsfolgen in Kauf genommen. Außerdem begeben sich viele Kommunen sogar selbst in die vorläufige Haushaltsführung; sie legen ihre Haushalte häufig erst im Laufe des Planungsjahres der ADD vor, statt wie vorgeschrieben im Vorjahr.

Auch der Verfassungsgerichtshof wies in seinem Urteil zum kom­munalen Finanzausgleich vom Dezember letzten Jahres aus­drücklich darauf hin, dass es das gebotene Ziel der staatlichen Haushaltsaufsicht sei, eine rechtswidrige Haushaltsführung zu un­terbinden. Praktische Erwägungen rechtfertigen keine Ausnahme. Ungeachtet dessen fördert ein konsequenter Aufsichtsstil mittel­fristig tragfähige Haushalte, die solide geplant sind.

Der Haushalts- und Finanzausschuss hat auf der Grundlage des Vor­schlags der Rechnungsprüfungskommission dem Landtag folgenden Beschluss empfohlen (Drucksache 18/1075 S. 10).

"Es wird zustimmend zur Kenntnis genommen, dass

a) in Haushaltsverfügungen auf die Erhebung vorläufiger Bedenken bzgl. solcher Vorschriften einer Haushaltssatzung verzichtet wird, die gegen das Haushaltsausgleichsgebot verstoßen,

b) Rechtsbedenken rechtzeitig vor Erlass der Haushaltsverfügung schriftlich erhoben werden,

c) in Haushaltsverfügungen keine Scheinbeanstandungen tenoriert werden,

d) die notwendigen Grundlagen für eine sachgerechte Wahrnehmung der Finanzaufsicht geschaffen werden, insbesondere unter Prüfung der Einrichtung eines softwaregestützten Risikobewertungssystems.

Die Landesregierung wird aufgefordert,

a) auf die Unterbindung rechtswidriger kommunaler Haushaltssatzungen durch die ADD - auch im Hinblick auf die Reform des Kommunalen Finanzausgleichs - hinzuwirken und hierbei das Urteil des Verfassungsgerichtshofs (VGH 12-14/19) und die Empfehlungen des Rechnungshofs zu berücksichtigen,

b) über das Ergebnis ihres Hinwirkens darauf, dass die ADD das Vorliegen von Ausnahmetatbeständen für die Erteilung von Genehmigungen für Investitionskredite und Verpflichtungsermächtigungen an dauerhaft leistungsunfähige Kommunen selbst prüft, zu berichten,

c) über das Ergebnis ihres Hinwirkens auf eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit der Finanzaufsicht zu berichten."

Der Landtag hat diesen Beschluss im September 2021 gefasst.

Die Landesregierung hat dem Landtag wie folgt berichtet (Drucksache 18/2128 S. 13):

"Die Landesregierung wurde aufgefordert, in mehrfacher Hinsicht auf die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) hinzuwirken. Im Interesse einer möglichst hohen Wirksamkeit werden Einzelheiten, die von diesem Hinwirken umfasst sein sollen, derzeit mit der ADD abgestimmt. Das Geforderte muss umsetzbar und wirkungsvoll sein."

Die Landesregierung hat dem Landtag wie folgt berichtet (Drucksache 18/3200 S. 30):

"Den Forderungen des Landtags wurde mit Schreiben des Ministeriums des Innern und für Sport vom 12. Januar 2022 (Az.: 1144-0004#2018/0002-0301 334) entsprochen."

Der Haushalts- und Finanzausschuss hat auf der Grundlage des Vor­schlags der Rechnungsprüfungskommission dem Landtag folgenden Beschluss empfohlen (Drucksache 18/4302 S. 15):

"Die Landesregierung wird aufgefordert, über das Ergebnis ihres Hinwirkens im Sinne der Forderungen des letztjährigen Landtagsbeschlusses zu berichten."

Der Landtag hat diesen Beschluss im November 2022 gefasst.

Die Landesregierung hat dem Landtag wie folgt berichtet (Drucksache 18/5310 S. 20)

"Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinland-Pfalz (ADD) hat soweit erforderlich und geboten in den letzten Jahren in zahlreichen Städten auf eine Verbesserung der kommunalen Haushalte hingewirkt, z. B. im Bereich der Hebesätze (s. nachstehende Übersicht).

    Hebesätze in v. H. (auch nach Maßnahmen der Kommunalaufsicht / ADD)*

 

2017

2018

2019

2020

2021

2022

(vorläufig)

 

 

 

Grundsteuer B

 

A. Kreisfreie Städte

 

 

 

Koblenz

420

420

420

420

420

420

Trier

450

450

480

480

480

550

Frankenthal (Pfalz)

430

430

430

450

450

540

Kaiserslautern

460

460

460

460

510

510

Landau i. d. Pf.

440

450

450

475

475

495

Ludwigshafen am Rhein

420

420

420

420

420

525

Mainz

480

480

480

480

480

480

Neustadt a. d. W.

450

450

450

505

505

505

Pirmasens

410

430

430

480

480

510

Speyer

450

450

450

450

450

450

Worms

440

440

440

         470         

470

550

Zweibrücken

400

400

         425

425

425

480

B. Große kreisangehörige Städte

 

 

 

Bad Kreuznach

450

450

450

450

450

500

Idar-Oberstein

430

430

430

535

535

290

Andernach

400

400

400

400

400

440

Mayen

425

425

425

425

425

535

Neuwied

420

420

420

420

610

610

Lahnstein

420

420

420

420

420

480

Bingen am Rhein

450

450

450

450

450

450

Ingelheim am Rhein

80

80

80*

80

80

80

 

 

 

Gewerbesteuer

 

A. Kreisfreie Städte

 

 

 

Koblenz

420

420

420

420

420

420

Trier

420

420

430

430

430

430

Frankenthal (Pfalz)

420

420

420

420

420

420

Kaiserslautern

410

410

410

410

415

415

Landau i. d. Pf.

405

405

405

405

405

412

Ludwigshafen am Rhein

405

405

425

425

425

425

Mainz

440

440

440

440

440

310

Neustadt a. d. W.

400

400

400

400

400

400

Pirmasens

415

415

415

415

415

415

Speyer

415

415

415

415

415

415

Worms

420

420

420

420

420

420

Zweibrücken

420

420

420

420

420

420

B. Große kreisangehörige Städte

 

 

 

Bad Kreuznach

405

405

405

405

405

420

Idar-Oberstein

400

400

400

420

420

310

Andernach

400

400

400

400

400

415

Mayen

415

415

415

415

415

415

Neuwied

405

405

405

405

405

405

Lahnstein

400

410

410

420

420

420

Bingen am Rhein

390

390

390

390

390

390

Ingelheim am Rhein

310

310

310*

310

310

310

* Ohne Berücksichtigung von Gebietsänderungen.

 

Das vom Landtag geforderte Hinwirken erfolgt in mehreren Schritten. Dieses schrittweise Vorgehen erscheint gerade auch im Hinblick auf andere politische und gesetzgeberische Maßnahmen des Landtags, insbesondere die Reform des Kommunalen Finanzausgleichs sowie das Programm zur Übernahme eines Teils der Liquiditätskredite der Kommunen, angezeigt und systematisch, nicht zuletzt, um die Entschlusskraft und die Verantwortungsfreude der Gemeindeorgane nicht über Gebühr zu beeinträchtigen."

Der Haushalts- und Finanzausschuss hat auf der Grundlage des Vor­schlags der Rechnungsprüfungskommission dem Landtag empfohlen, die Angelegenheit im Rahmen des Entlastungsverfahrens für erledigt zu erklären (Drucksache 18/7526 S. 21).

Der Landtag hat diesen Beschluss im November 2023 gefasst.