Gutachtliche Äußerung zum Verkaufsprozess der Anteile des Landes an der Flughafen Frankfurt-Hahn GmbH (2017)

1 Vorbemerkungen

1.1 Prüfungsersuchen des Landtags

Der Landtag hat den Rechnungshof in seiner Sitzung am 14. Juli 2016 ersucht, sich gemäß § 88 Abs. 3 Landeshaushaltsordnung Rheinland-Pfalz (LHO) „gutachtlich zum Verkaufsprozess zum Flughafen Hahn zu äußern“. Dabei soll er den gescheiterten Veräußerungsprozess an die Shanghai Yiqian Trading Company, Ltd. (SYT) insbesondere dahingehend prüfen, ob die vom Rechnungshof formulierten Hinweise für die Auswahl von und den Umgang mit Geschäftspartnern eingehalten wurden.

Der Präsident des Landtags hat den Rechnungshof mit Schreiben vom 14. Juli 2016, das am 21. Juli 2016 beim Rechnungshof einging, über den Beschluss des Landtags unterrichtet1.

1.2 Gegenstand und Gang der Untersuchung sowie vorgelegte Unterlagen

Das Gutachten befasst sich im Wesentlichen mit der Frage, ob bei der Auswahl des Käufers SYT Sorgfaltspflichten verletzt wurden. Außerdem hat der Rechnungshof untersucht, ob der von SYT als Meistbietendem gebotene Kaufpreis aus EU-beihilferechtlicher Sicht das zwingende Entscheidungskriterium war. Nicht Gegenstand des Gutachtens sind Einzelheiten der Verhandlungen zum Anteilskaufvertrag und die Vorgänge um die Veräußerung von Grundstücken an SYT. Gleiches gilt für die Frage, ob der von SYT gebotene Kaufpreis den vollen Wert der Anteile an der Flughafen Frankfurt-Hahn GmbH (FFHG) i. S. d. § 63 Abs. 3 LHO dargestellt hätte. Eine ausführliche Chronologie des Verkaufsvorgangs ist als Anlage 2 beigefügt.

Der Rechnungshof hat Erhebungen bei den betroffenen Ministerien, der Staatskanzlei und bei der FFHG durchgeführt. Dabei hat er überwiegend Vorgänge von Mitte 2013 bis zur Anfechtung des Anteilskaufvertrags am 8. Juli 2016 geprüft. In Einzelfällen ist er auch auf Sachverhalte nach diesem Stichtag eingegangen.

Die vom Rechnungshof angeforderten Unterlagen betreffen den Schriftverkehr zwischen den Ministerien einschließlich der Staatskanzlei, zwischen den Ministerien und der beratenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sowie der mit dieser verbundenen beratenden Rechtsanwaltsgesellschaft (im Folgenden als Beratungsgesellschaft bezeichnet2), zwischen den Ministerien/Beratungsgesellschaft und der Europäischen Kommission (EU-Kommission), ferner interne Vermerke einschließlich Unterrichtungen der jeweiligen Hausleitung, Protokolle über Besprechungen – auch mit der EU-Kommission – sowie die Beauftragung von Gutachtern. Der Rechnungshof hat die zu prüfenden Stellen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zu den Unterlagen nach § 95 Abs. 3 LHO elektronisch gespeicherte Daten, z. B. der E-Mail-Verkehr, gehören. Zudem hat er das Innenministerium (Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur, ab der 17. Plenarperiode Ministerium des Innern und für Sport, im Folgenden jeweils als Innenministerium bezeichnet) gebeten, eine Vollständigkeitserklärung abzugeben.

Die Landesregierung hat dem Rechnungshof 467 Akten und Ordner vorgelegt. Dabei handelte es sich um Unterlagen der Staatskanzlei einschließlich der Landesvertretung Rheinland-Pfalz (LV) in Brüssel, des Ministeriums der Finanzen (FM), des Innenministeriums, des Wirtschaftsministeriums (Ministerium für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung, ab der 17. Plenarperiode Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau, im Folgenden jeweils als Wirtschaftsministerium bezeichnet) sowie der FFHG.

Das Innenministerium gewährte dem Rechnungshof keinen Zugang zu seinem elektronischen Schriftverkehr. Nach seinen Angaben werden Daten oder E-Mails nicht in eigenen Ordnern gespeichert. Es sei ihm nicht möglich, E-Mails elektronisch zu archivieren. Die zu führende Akte sei die Papierakte. Die vorgangsbezogene Ablage des relevanten E-Mail-Verkehrs in Papierform gewährleiste, dass der Stand und die Entwicklung der Bearbeitung eines Geschäftsvorfalls jederzeit aus der Akte nachzuvollziehen seien. Mit Schreiben vom 9. November 2016 hat das Innenministerium bestätigt, seine Akten zu dem Verkaufsverfahren vollumfänglich dem Rechnungshof vorgelegt zu haben.

Mit Zustimmung des Innenministeriums hat die Beratungsgesellschaft dem Rechnungshof ihren E-Mail-Verkehr mit und von Externen (3.880 Dateien) sowie eine sogenannte Verfahrensakte (13 Aktenordner) vorgelegt. Ihren internen (E-Mail-)Schriftverkehr, auch den mit der Abteilung Forensic der beratenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, hat die Beratungsgesellschaft dem Rechnungshof nicht zugänglich gemacht.

Der Rechnungshof hat die Rechtsanwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP (Freshfields) beauftragt, ein Gutachten zu den Anforderungen an eine professionelle Integrity Due Diligence (IDD3) in China zu erstellen. Dessen Ergebnisse (siehe Anlage 6) hat der Rechnungshof in seiner Gutachtlichen Äußerung übernommen.

Der Entwurf der Gutachtlichen Äußerung wurde den geprüften Stellen am 10. Februar 2017 zugesandt. Eine schriftliche Stellungnahme der Landesregierung einschließlich eines Rechtsgutachtens zu Tz. 9 erhielt der Rechnungshof am 21. März 2017. Die Schlussbesprechung mit Vertretern des Innenministeriums, des FM und der Staatskanzlei fand am 29. März 2017 statt.

1.3 Frühere Empfehlungen des Rechnungshofs

Der Rechnungshof hat sich im Zusammenhang mit der Beteiligung des Landes an der Nürburgring GmbH mehrfach zu der Auswahl und dem Umgang mit Geschäftspartnern in Prüfungsmitteilungen oder Gutachten geäußert. Im Wesentlichen betraf dies die Betätigung des Landes bei der Nürburgring GmbH und deren Beteiligungsgesellschaften im Zeitraum 2000 bis 20054, die Gutachtliche Äußerung zur Finanzierung des Projekts „Nürburgring 2009“ Teil I5 und II6 , die Prüfung der Betätigung des Landes beider Cash Settlement & Ticketing GmbH7. sowie die Gutachtliche Äußerung zum „Zukunftskonzept Nürburgring“8. Diese Prüfungen waren überwiegend Gegenstand des parlamentarischen Entlastungsverfahrens.

Der Rechnungshof hatte, zum Teil mehrfach, folgende wesentliche Forderungen erhoben, die als allgemeine Grundsätze des kaufmännischen Geschäftsverkehrs sinngemäß auch für die Auswahl eines Käufers von Landesanteilen an einer Gesellschaft gelten:

  • Das Land hat in den Gesellschaftsgremien dafür Sorge zu tragen, dass Mitgesellschafter insbesondere im Hinblick auf deren Finanzkraft und Geschäftserfahrung mit der gebotenen Sorgfalt ausgewählt werden9.
  • Das Land hat vor der Gründung von Beteiligungsunternehmen die Leistungsfähigkeit und die Kompetenzen von Mitgesellschaftern sorgfältig zu prüfen und die Prüfungsergebnisse zu dokumentieren; Businesspläne sollten auf der Grundlage möglichst realistischer Erträge und Aufwendungen überarbeitet werden10.
  • Das Land hat bei der Auswahl von Geschäftspartnern die gebotene Sorgfalt walten zu lassen11.

Die Forderungen erfolgten vor dem Hintergrund, dass

  • bei der Auswahl von möglichen Finanziers die notwendige Sorgfalt unterblieben war,
  • Erkenntnisse im Zusammenhang mit einer Know Your Customer-Prüfung, die es geboten hätten, den Finanziers mit größter Vorsicht zu begegnen, ohne Folgen geblieben waren,
  • Angaben zu Investoren schon früh Ungereimtheiten aufgewiesen hatten, aber unbeachtet geblieben waren,
  • kritischen internen Hinweisen im zuständigen Ministerium nicht nachgegangen worden war,
  • Referenzen nicht überprüft worden waren und
  • Bankauszüge als Eigenkapitalnachweis akzeptiert worden waren, obwohl sie hierfür grundsätzlich nicht geeignet sind12.

  1. Beschluss des Landtags vom 14. Juli 2016 und Drucksache 17/446 vom 13. Juli 2016 (siehe Anlage 1).
  2. Bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft handelt es sich um eines der großen weltweit tätigen Unternehmen der Branche. In ihrer Stellungnahme zu dem Entwurf dieser Gutachtlichen Äußerung vom 10. März 2017 bat sie um die Anonymisierung ihres Namens, da eine Bewertung oder Würdigung ihrer Tätigkeit nicht Gegenstand der Begutachtung sei, diese sie in ihren schützenswerten Rechten beeinträchtige und daher grundsätzlich zu unterbleiben habe. Der Rechnungshof hat den Namen anonymisiert, sich im Übrigen an der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte orientiert. Eine Vielzahl von Schriftstücken, die dem Rechnungshof vorlagen, ist von einem Vertreter der beratenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und der beratenden Rechtsanwaltsgesellschaft gemeinsam unterzeichnet. Der Rechnungshof unterscheidet in dieser Gutachtlichen Äußerung daher nur dann zwischen den verschiedenen Beratungsgesellschaften, wenn er dies für relevant hält.
  3. Auch Reputational Due Diligence, Compliance Due Diligence, Third Party Due Diligence oder Know Your Counterparty Due Diligence genannt. Hierzu ausführlich Tz. 8.1.
  4. Prüfungsmitteilungen vom 29. September 2006, Az.: 4-P-32-2/2000-2005.
  5. Äußerung vom 15. Juni 2010, Az.: 4-P-4450-32-10/2009, und Drucksache 15/4741 vom 23. Juni 2010.
  6. Vertrauliche Äußerung vom 15. Juni 2010, Az.: 4-P-4450-32-10/2009.
  7. Prüfungsmitteilungen vom 26. Januar 2011, Az.: 4-P-4450.18-32-2/2009.
  8. Drucksache 16/3960 vom 17. September 2014.
  9. Jahresbericht 2007/2008, Drucksache 15/1900 vom 11. Februar 2008, Nr. 15, Seiten 93 f. und Drucksache 15/2552 vom 21. August 2008. Die Feststellungen wurden vom Landtag einstimmig zur Kenntnis genommen (Plenarprotokoll 15/51 vom 29. August 2008, Seite 3127).
  10. Jahresbericht 2011 Teil II, Drucksache 15/5515 vom 12. April 2011, Nr. 21, Seite 21 sowie Drucksachen 16/75 vom 29. Juni 2011 und 16/352 vom 20. September 2011. Die Feststellungen und Forderungen wurden vom Landtag mehrheitlich angenommen (Plenarprotokoll 16/12 vom 20. Oktober 2011, Seite 659).
  11. Gutachtliche Äußerung zum „Zukunftskonzept Nürburgring“, Drucksache 16/3960 vom 17. September 2014, Seite 10.
  12. Gutachtliche Äußerung zur Finanzierung des Projekts Nürburgring 2009 Teil I, Drucksache 15/4741 vom 23. Juni 2010, Seiten 3 und 57 f.