Rechnungshof und Kommunalhaushalte
Über die Rechtswidrigkeit von kommunalen Haushaltsdefiziten und die Rolle der überörtlichen Prüfung
Nach § 95 Abs. 1 Satz 1 der Gemeindeordnung - GemO - hat die Gemeinde für jedes Haushaltsjahr eine Haushaltssatzung zu erlassen. Deren Entwurf ist nach § 97 Abs. 2 GemO spätestens einen Monat vor Beginn des Haushaltsjahres der Kommunalaufsichtsbehörde vorzulegen. Diese prüft die Rechtmäßigkeit und genehmigt ggf. den Gesamtbetrag der geplanten Investitionskredite sowie die Summe der Verpflichtungsermächtigungen1, für die in den künftigen Haushaltsjahren voraussichtlich Investitionskredite aufgenommen werden müssen. Die Aufsichtsbehörde kann nach § 121 GemO Haushaltssatzungen, die das bestehenden Recht verletzen, beanstanden mit der Folge, dass sie nicht bekannt gemacht und nicht ausgeführt werden dürfen.
Für dieses alljährliche finanzaufsichtliche Verfahren sind allein die gegenüber der Landesregierung weisungsgebundenen Kommunalaufsichtsbehörden zuständig.
Hiervon zu unterscheiden ist die überörtliche Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung von Kommunen durch den als oberste Landesbehörde in richterlicher Unabhängigkeit agierenden Rechnungshof. Dessen Prüfungen finden in mehrjährigen Abständen statt, die sich aus seiner autonomen Prüfungsplanung unter Berücksichtigung der vorhandenen Personalressourcen ergeben.
Nach Maßgabe der vom zuständigen Kollegium des Rechnungshofs festzulegenden Prüfungskonzeption kann Gegenstand dieser Prüfungen auch die Rechtmäßigkeit der kommunalen Haushaltsführung sein. Dazu gehört u. a. die Frage, ob die während der laufenden Prüfung aufgestellten kommunalen Haushalte den Anforderungen des Gemeindehaushaltsrechts genügen.
Eine dieser Anforderungen ist das Haushaltsausgleichsgebot nach § 93 Abs. 4 GemO. Danach müssen im Ergebnishaushalt die Erträge mindestens die Aufwendungen decken. Hierbei sind auch nicht unmittelbar zahlungswirksame Aufwendungen wie z. B. Abschreibungen2 auf bewegliches und unbewegliches Vermögen (insbesondere Gebäude, Fahrzeuge und Mobiliar) zur Finanzierung zukünftiger Investitionen und Rückstellungen für künftige Pensionszahlungen zu erwirtschaften. Für den kommunalen Finanzhaushalt bedeutet das Haushaltsausgleichsgebot, dass sogenannte "freie Finanzspitzen" zu erwirtschaften sind, d.h., dass aus Überschüssen der laufenden Einzahlungen die bestehenden planmäßigen Tilgungsverpflichtungen erfüllt werden können. Das Haushaltsausgleichsgebot wirkt als "Schuldenbremse" und soll die Kommunen vor einer Überschuldung schützen.
Abweichungen hiervon sind nur dann rechtmäßig, wenn geplante Defizite auch bei Ausschöpfung aller im Rahmen der Selbstverwaltungsgarantie zumutbaren Aufwandsminderungs- und verfassungsrechtlich zulässigen Ertragssteigerungsmöglichkeiten verbleiben und daher unabweisbar sind. Unabweisbar ist ein Haushaltsdefizit nicht schon deshalb, weil sich eine Kommune vom Land für verfassungswidrig unterfinanziert hält.3 Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sie ihren Haushalt gleichwohl im vorstehend beschriebenen Sinne ausgleichen und ggf. daneben eine verfassungsmäßige Finanzausstattung einklagen. Wörtlich führte das Gericht 2015 in einer Urteilsbegründung aus: "Seiner gesetzlichen Pflicht zur Minimierung des Haushaltsdefizits kann sich der klagende Kreis auch nicht durch Verweis auf eine seiner Auffassung nach unzureichende Finanzierung durch das beklagte Land entziehen. Solange es ihm möglich ist, Maßnahmen zur Haushaltssanierung zu ergreifen, ist es aus Sicht der Garantie der Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG nicht zu beanstanden, wenn er landesrechtlich zu entsprechendem Handeln verpflichtet ist."
Diese landesrechtliche Verpflichtung ergibt sich aus der Gemeindeordnung. Demnach sind derzeit z. B. alle defizitär geplanten städtischen Haushalte in Rheinland-Pfalz zumindest deshalb rechtswidrig, weil keine Stadt die Grundsteuer B auch nur annähernd bis zur Grenze der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit erhebt. Diese Grenze ist erst bei einer sogenannten "Erdrosselungswirkung" dieser Steuer erreicht, also einer Höhe, die Steuerpflichtige unter normalen Umständen nicht mehr aufbringen können. Eine derartige Wirkung hat die Rechtsprechung aber bisher auch bei Hebesätzen von bis zu 995 % verneint. Die derzeit höchsten Hebesätze der Grundsteuer B haben die Städte Mainz und Trier mit jeweils 480 % festgesetzt. Die kreisfreien Städte des Landes verzeichneten 2017 und 2018 bundesweit die niedrigsten Hebesätze bei der Grundsteuer B und auch der Gewerbesteuer bei gleichzeitig höchster Verschuldung je Einwohner im Vergleich der Flächenländer. Auch bei den kreisangehörigen Gemeinden liegen die Realsteuerhebesätze deutlich unter dem Länderdurchschnitt (vgl. Kommunalbericht 2019).
Allerdings müssen die Kommunen ihre rechtswidrigen Defizite nicht zwingend über Grundsteuererhöhungen beseitigen. Ob sie zu diesem Zweck ihren Aufwand im Bereich der freiwilligen oder pflichtigen Aufgaben mindern, anderweitige Einnahmequellen (z. B. Abführungen von Beteiligungen) nutzen oder diese Maßnahmen miteinander oder zusätzlich mit einer Steuererhöhung kombinieren, steht ihnen im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie frei.
Die Aufgabe des Rechnungshofs im Rahmen seiner Prüfungstätigkeit erschöpft sich darin, die Rechtswidrigkeit einer defizitären Haushaltssatzung festzustellen. Sie abzustellen ist nach § 117 GemO Aufgabe der Kommunalaufsichtsbehörde. Nur sie verfügt nach dem Gesetz über die erforderlichen Eingriffsbefugnisse. Dabei hat sie zwar im finanzaufsichtlichen Verfahren hinsichtlich ihres Einschreitens grundsätzlich ein Ermessen. Nach der Rechtsprechung ist jedoch bei offensichtlich rechtswidrigen Haushalten ein Einschreitensermessen intendiert - die Behörde soll hier also tatsächlich einschreiten.
Allerdings sind neben der vom Land ausgeübten Kommunalaufsicht auch die Oberbürgermeister vom Gesetz berufen, die Rechtmäßigkeit von Ratsbeschlüssen zu überprüfen (vgl. § 42 Abs. 1 GemO). Sind diese - wie es bei städtischen defizitären Haushaltssatzungen der Fall ist - evident rechtswidrig, sind sie verpflichtet, solche Beschlüsse auszusetzen. Ob die Oberbürgermeister dieser gesetzlichen Pflicht nachkommen, betrifft die Rechtmäßigkeit ihrer Amtsführung und ist daher zulässiger Prüfungsgegenstand für die überörtliche Prüfung. Diesbezügliche Hinweise des Rechnungshofs an die Oberbürgermeister sind jedoch ebenfalls nur feststellender Natur.
Auf die hier beschriebene Pflicht der Oberbürgermeister hat auch die Landesregierung 2014 in ihrem Bericht an die seinerzeitige Enquetekommission des Landtags "Kommunale Finanzen" hingewiesen: "In ihrem Bericht ging die Landesregierung auch auf das Erfordernis eines ausgeglichenen Haushalts ein (§ 93 Abs. 4 GemO). Die Beschlussfassung des Gemeinderats über einen unausgeglichenen Haushalt erweise sich als rechtswidrig. Aus § 42 GemO ergäbe sich die Pflicht des Bürgermeisters, einen solchen Beschluss auszusetzen und - sofern der Gemeinderat in der Folgezeit bei seinem Beschluss verbliebe - die Entscheidung der Aufsichtsbehörde einzuholen" (Bericht der Enquete-Kommission 16/1 "Kommunale Finanzen" vom 06.07.2015, Drucksache 16/5250, S. 162).
Die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend für defizitäre Haushaltssatzungen von Landkreisen, deren Kreisumlagesatz unterhalb der verfassungsrechtlich zulässigen Möglichkeiten bleibt, sowie für eine Prüfungs- und Aussetzungspflicht von Landräten hinsichtlich diesbezüglicher Beschlüsse der Kreistage (vgl. § 35 Abs. 1 der Landkreisordnung).
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- Ermächtigungen zum Eingehen von Verpflichtungen, die in künftigen Haushaltsjahren zu Investitionsauszahlungen führen (§ 102 GemO), z. B. durch die Vergabe von Bauaufträgen.
- Sie bilden den Wertverlust des Anlagevermögens im Haushaltsjahr ab und dienen der Refinanzierung nach Ablauf der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer.
- Die kommunalen Gebietskörperschaften haben gegenüber dem Land einen Anspruch auf eine angemessene finanzielle Mindestausstattung (Art. 28 GG und 49 LV).