Prüfungsrechte bei der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen – bislang keine unabhängige Finanzkontrolle durch den Rechnungshof bei den Leistungserbringern
Eine Aufgabe von großer sozialpolitischer und finanzieller Bedeutung
Die Eingliederungshilfe zielt darauf ab, Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erleichtern. Sie ist damit von großer sozialpolitischer Bedeutung. Auch ihr finanzielles Gewicht ist für Land und Kommunen beträchtlich. Im Jahre 2016 entfielen auf die Eingliederungshilfe Nettoausgaben im Umfang von 870 Mio. €, für 2018 wird mit einem Finanzbedarf von rund 1 Mrd. € gerechnet.
Die gesetzlich geregelten Leistungen werden im ambulanten und (teil-)stationären Bereich überwiegend durch Betriebe der freien Wohlfahrtspflege erbracht. Hierfür müssen das Land und die Kommunen im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit Vereinbarungen mit den Leistungsträgern bzw. Leistungserbringern abschließen. Auf diese Weise erfüllen die Organisationen und Betriebe der Eingliederungshilfe eine wichtige gesetzliche und gesellschaftliche Aufgabe, die hohe Anerkennung verdient.
Prüfungserkenntnisse des Rechnungshofs Rheinland-Pfalz
Der Rechnungshof Rheinland-Pfalz hat die Gewährung von Leistungen und die Vereinbarung von Entgelten durch das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung (LSJV), den überörtlichen Träger der Sozialhilfe, geprüft und in seinen Jahresberichten 2010 (Nr. 12), 2012 (Nr. 20) und 2015 (Nr. 13) darüber berichtet. Das Land hatte entgegen den bundesrechtlichen Vorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB XII) seit 1996 keinen Rahmenvertrag mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Vereinigungen der Träger der Einrichtungen sowie mit den einzelnen Trägern auch keine Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarungen geschlossen. Eigene Prüfungen hat das Land nicht durchgeführt. Der Rechnungshof prüfte u. a. die Entgeltvereinbarungen des LSJV mit den Werkstattträgern (Jahresbericht 2015, Nr. 13). Es wurde u. a. festgestellt, dass die Tagessätze für die Betreuung von Menschen mit Behinderungen in Rheinland-Pfalz 2011 um 22 % über dem Länderdurchschnitt lagen, somit rechnerisch mehr als 30 Mio. € an jährlichen Ausgaben vermeidbar gewesen wären, höhere Personalschlüssel vereinbart waren, Werkstätten Entgelte ohne Aufwandsnachweise erhielten und diese Betriebe hohe Überschüsse und Rücklagen verzeichneten. Die Aufwendungen für die Werkstätten für behinderte Menschen waren zwischen 1985 und 2011 um fast 600 % auf 248 Mio. € angestiegen.
Auf der Grundlage der Berichte des Rechnungshofs und der parlamentarischen Beratung forderte der Landtag die Landesregierung in den Jahren 2015 und 2016 u. a. dazu auf, den gesetzlich vorgeschriebenen Rahmenvertrag abzuschließen oder alternativ eine Rechtsverordnung zu erlassen sowie sachgerechte Personalschlüssel festzulegen.
Fehlende Prüfungen durch die Träger der Sozialhilfe und keine unabhängige Finanzkontrolle durch den Rechnungshof
Das LSJV hätte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe unmittelbar aus § 75 Abs. 3 Satz 3 SGB XII rechtlich die Möglichkeit gehabt, die Mittelverwendung bei den Organisationen und Betrieben der Eingliederungshilfe zu prüfen. Es hat sein Prüfrecht allerdings nicht wahrgenommen. Erst im April 2017 hat es gegen die Träger von Werkstätten für behinderte Menschen Klagen auf gerichtliche Feststellung dieses Prüfrechts erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Im Jahre 2017 hat die Landesregierung eine Rechtsverordnung für die Werkstätten für behinderte Menschen erlassen und damit – bis zum Inkrafttreten diesbezüglicher Regelungen im neuen Bundesteilhabegesetz (BTHG) und der landesgesetzlichen Regelungen – ein anlassbezogenes Prüfverfahren durch den überörtlichen Träger der Sozialhilfe festgelegt. Dieses Prüfrecht wurde nach Kenntnis des Rechnungshofs bislang nicht ausgeübt.
Das Parlament übt das Budgetrecht aus und stellt der Regierung Haushaltsmittel zur Verfügung. Der Rechnungshof hat den Auftrag, die ordnungsgemäße und wirtschaftliche Mittelverwendung unabhängig zu prüfen. Dieser Auftrag ist umfassend, "prüfungsfreie" Räume soll es nicht geben. Der Rechnungshof kann nach § 91 Abs. 1 Landeshaushaltsordnung (LHO) auch Stellen (wie Betriebe) außerhalb der Landesverwaltung prüfen, wenn diese z. B. öffentliche Zuwendungen erhalten. In diesen Fällen prüft der Rechnungshof nach eigenem Ermessen ergänzend zu den Verwendungsprüfungen des Zuwendungsgebers.
Nach den geltenden Regelungen ist der Rechnungshof allerdings nicht befugt, die Mittelverwendung direkt bei den Organisationen und Betrieben der Eingliederungshilfe zu prüfen, da die Mittel hier auf Basis einer Entgeltvereinbarung gewährt werden. Damit kann die unabhängige Finanzkontrolle nicht bestätigen, ob die Mittel für die Menschen mit Behinderungen ordnungsgemäß und wirtschaftlich verwendet werden und bestmöglich bei diesen ankommen.
Vor diesem Hintergrund hat die Rechnungsprüfungskommission des rheinland-pfälzischen Landtags 2016 und 2017 einstimmig empfohlen, dem Rechnungshof ein ergänzendes bzw. akzessorisches Prüfrecht einzuräumen. Dieses sollte die Prüfrechte der Träger der Sozialhilfe im Bereich SGB IX und SGB XII ergänzen und "prüfungsfreie" Räume schließen.
Vorschlag für ein Prüfrecht in der Landeshaushaltsordnung
Die CDU-Fraktion hatte am 15. November 2017 einen Gesetzentwurf (vgl. Landtagsdrucksache 17/4566) zur Änderung der Landeshaushaltsordnung eingebracht. Der Entwurf sah für die Landeshaushaltsordnung einen neuen § 91 Abs. 4 vor:
"Soweit dem Land auf Grund von Rechtsvorschriften oder Verträgen im Zusammenhang mit dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch sowie dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch Prüfungsrechte gegenüber Dritten zustehen, können diese durch den Rechnungshof im Rahmen seiner Prüfung nach § 88 Abs. 1 wahrgenommen werden. Die Prüfungsrechte des Landes bleiben daneben bestehen."
Der Antrag war am 1. Februar 2018 Gegenstand einer Anhörung im Sozialpolitischen Ausschuss des Landtages (vgl. Vorgang im Offenen Parlamentarischen Auskunftssystem des Landtags Rheinland-Pfalz). Der Rechnungshof hat in dieser Anhörung deutlich gemacht, dass der Entwurfstext wegen der Bezugnahme auf Prüfungen "nach § 88 Abs. 1" nur ein ergänzendes Prüfrecht enthalte. Es sei zunächst beim Träger der Eingliederungshilfe zu prüfen. Nur wenn es aus Sicht des Rechnungshofs erforderlich sei, könne die Prüfung auf ausgewählte Betriebe der Eingliederungshilfe ausgedehnt werden (vgl. Landtagsvorlage 17/2612). Somit würden Doppelprüfungen vermieden und die Prüfrechte des Landes blieben davon unberührt. Es wurde ferner auf die Länder Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern verwiesen, die ihrerseits unabhängige Prüfrechte für den jeweiligen Rechnungshof geschaffen haben. In Mecklenburg-Vorpommern umfassen diese Prüfrechte nicht nur die Eingliederungshilfe SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, darunter die Eingliederungshilfe), sondern auch SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) und SGB XII (Sozialhilfe). Prof. Dr. Gregor Kirchhof von der Universität Augsburg hat sich in der Anhörung für entsprechende Prüfrechte des Rechnungshofs ausgesprochen, mit denen die parlamentarische Finanzkontrolle und die Finanzverantwortung des Landtags gegenüber dem Steuerzahler gestärkt würden.
Der Gesetzentwurf der CDU wurde am 12. April 2018 im Sozialpolitischen Ausschuss und am 25. April 2018 im Landtag abgelehnt. Landesregierung und Regierungsfraktionen verwiesen insbesondere auf die im derzeit geplanten Ausführungsgesetz zum Bundesteilhabegesetz vorgesehenen anlasslosen Prüfrechte für das LSJV und die Kommunen als Träger der Eingliederungshilfe. Es gehe nicht um die Frage, ob geprüft werde, sondern wer die Prüfung in welcher Form durchführen soll. Für das Land solle dies durch das LSJV erfolgen. Dafür seien aber noch weitere Voraussetzungen zu schaffen. Nach § 131 SGB IX n. F. müssten Rahmenverträge geschlossen werden, in denen auch Inhalt und Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung festgelegt würden. Sollten Rahmenverträge mit den Leistungsträgern nicht abgeschlossen werden können, werde die Landesregierung eine Rechtsverordnung erlassen. Ergänzend wären Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen notwendig. Damit hätte das Land die Voraussetzungen für umfassende Prüfrechte im gesamten Bereich der Eingliederungshilfe geschaffen. Ein akzessorisches Prüfrecht für den Rechnungshof sei daher aus der Sicht der Landesregierung nicht mehr erforderlich. Der Rechnungshof könne nach der Landeshaushaltsordnung weiterhin das LSJV prüfen und noch zielgerichteter Auskunftsansprüche gegenüber den Betrieben der Eingliederungshilfe durchsetzen.
Möglichkeiten für ein Prüfrecht für den Rechnungshof im Fachgesetz
Der Rechnungshof unterstreicht nochmals die Notwendigkeit, dass die von der Landesregierung beauftragten Leistungen auch hinsichtlich ihrer Umsetzung durch den Auftraggeber geprüft werden müssen. Davon zu trennen sind die verfassungsgebotenen Kontrollrechte des Rechnungshofs, die vom Gesetzgeber bereitgestellten Steuermittel unabhängig und nach anerkannten Maßstäben prüfen zu können. Eine unabhängige und transparente Prüfung ist auch für die Kommunen von Bedeutung, da diese weiterhin einen Großteil der Leistungen der Eingliederungshilfe zur Hälfte mitfinanzieren, ohne auf die Leistungsvereinbarungen Einfluss nehmen zu können.
Nach der Begründung zum Entwurf des Ausführungsgesetzes zum BTHG (zu § 13 AGSGB IX) kann der Rechnungshof vom LSJV "unter Beachtung der getroffenen Regelungen und Vereinbarungen gegebenenfalls verlangen, ergänzende prüfungsnotwendige und prüffähige Unterlagen bei dem einzelnen Träger der Werkstatt anzufordern." Der Rechnungshof kann bereits heute auf der Grundlage der Landeshaushaltsordnung (§ 95 Abs. 1) alle - aus seiner Sicht - erforderlichen Unterlagen bei den geprüften Stellen anfordern. Eine Erweiterung dieses Rechts sowie Durchsetzungsmöglichkeiten gegenüber Dritten können durch Ausführungen in einer Gesetzesbegründung nicht bewirkt werden. Der Begründung kommt keine normative Wirkung zu. Überdies wäre auch die Aufnahme der Begründungserwägungen in den Gesetzestext kein auch nur annähernd gleichwertiger Ersatz für ein eigenes Prüfrecht des Rechnungshofs, das ggf. vor Ort ausgeübt wird.
Vor diesem Hintergrund hat der Rechnungshof der Landesregierung für den Fall der Ablehnung der o. g. Regelung in der Landeshaushaltsordnung empfohlen, das in § 13 AGSGB IX vorgesehene anlasslose Prüfungsrecht der Träger der Eingliederungshilfe in Form eines § 13 Abs. 2 AGSGB IX um ein entsprechendes akzessorisches Prüfrecht des Rechnungshofs zu ergänzen:
"Im Rahmen der Prüfung bei Trägern der Eingliederungshilfe kann der Rechnungshof Prüfungen bei Leistungserbringern durchführen. Die Prüfungsrechte der Träger der Eingliederungshilfe bleiben daneben bestehen."
Ferner sollte im zu ändernden AGSGB XII gleichfalls ein anlassloses Prüfrecht für die Träger der Sozialhilfe, kombiniert mit einem akzessorischen Prüfrecht des Rechnungshofs, normiert werden. Damit würde ein Gleichklang in der Ausgestaltung der Prüfungsrechte nach dem SGB IX und SGB XII gewährleistet werden.
Prüfungen können bereits im Vorfeld des neuen BTHG vor 2020 erfolgen
Nach Auffassung des Rechnungshofs kann das Land über das LSJV schon heute die mit den Leistungsträgern der Werkstätten vereinbarten Entgelte und die dafür zu erbringenden gesetzlichen Leistungen detailliert nachvollziehen. So kann das LSJV etwa jede Erhöhung der vereinbarten Entgelte davon abhängig machen, dass die Einrichtungsträger zuvor ihre Kostenstrukturen offenlegen. Auf diese Weise lässt sich - anders als bei den bisher zwischen LSJV und den Einrichtungsträgern weitgehend nachweisfrei pauschal verhandelten Entgelterhöhungen - ermitteln, ob und inwieweit die gebotene Äquivalenz zwischen Entgelten und Leistungen gewährleistet ist.