Pressemitteilung: Kommunalbericht 2020 - Strukturell ungesunde Kommunalfinanzen und pandemisch bedingte Mehrbelastungen

Die Kassen der rheinland-pfälzischen Gemeinden und Gemeindeverbände schlossen 2019 wie in den beiden Vorjahren mit einem Überschuss ab. Dieser fiel jedoch mit 263 Mio. € um 40 % geringer aus als 2018. Erneut wiesen fast 40 % (976) der 2.467 Gemeinden und Gemeindeverbände Defizite aus. "Trotz der jahrelang guten Einnahmen bestehen die strukturellen Probleme der Kommunalfinanzen fort", so Rechnungshofpräsident Jörg Berres anlässlich der Veröffentlichung des diesjährigen Kommunalberichts.

Die Kassen der rheinland-pfälzischen Gemeinden und Gemeindeverbände schlossen 2019 wie in den beiden Vorjahren mit einem Überschuss ab. Dieser fiel jedoch mit 263 Mio. € um 40 % geringer aus als 2018. Erneut wiesen fast 40 % (976) der 2.467 Gemeinden und Gemeindeverbände Defizite aus. "Trotz der jahrelang guten Einnahmen bestehen die strukturellen Probleme der Kommunalfinanzen fort", so Rechnungshofpräsident Jörg Berres anlässlich der Veröffentlichung des diesjährigen Kommunalberichts.

Das kommunale Haushaltsjahr 2019 lag im Großen und Ganzen noch im Trend der Vorjahre. "Es gab Licht, aber auch einigen Schatten", fuhr Berres fort. "Positiv ist der Gesamtüberschuss, der pro Einwohner erstmals über dem Durchschnitt der Flächenländer lag (vgl. Grafik 1 in der PDF-Version dieser Pressemitteilung). Zu würdigen sind auch die Bemühungen einiger Kommunen beim Abbau von Schulden. Allerdings hätten die hohen Einnahmen insgesamt stärkere Rückführungen erlaubt. Sorgen bereitet der unverändert hohe Anteil defizitär wirtschaftender Kommunen. Insgesamt können wir daher nicht von einer gesunden, soliden Finanzlage sprechen."

Dabei waren die Rahmenbedingungen 2019 noch gut. Steigende Einnahmen waren erneut die maßgebliche Stütze der im Saldo positiven Kassenlage. Gegenüber dem Vorjahr war ein Einnahmenanstieg um 3,7 % auf 15,7 Mrd. € zu verzeichnen. Getragen war dieser von den laufenden Zuwendungen (+ 436 Mio. €), die insbesondere die Transferzahlungen des Landes enthalten. Die Steuereinahmen legten ebenfalls zu (+ 92 Mio. €), jedoch deutlich weniger als in den Jahren davor.

Bereits vor der Corona-Pandemie und ihrer finanziellen Auswirkungen waren die kommunalen Ausgaben 2019 um 5,0 % (+ 738 Mio. €) auf 15,4 Mrd. € stärker gestiegen als die Einnahmen. Der Anstieg betraf überwiegend den konsumtiven Bereich. Während die Personalausgaben 2019 infolge der Tarif- und Besoldungserhöhungen noch stärker zunahmen als in anderen Jahren (+ 5,5 %), stagnierten die Sozialausgaben weiterhin auf dem Niveau von 2016 (vgl. Grafik 2).

Gleichwohl belasten die Ausgaben für Soziales und Jugend die Kommunen in Rheinland-Pfalz deutlich stärker als jene in anderen Ländern. Die entsprechenden Nettoausgaben je Einwohner lagen in einer Dreijahresbetrachtung (2016 bis 2018) fast im Durchschnitt der Flächenländer. Den Kommunen standen jedoch zur Finanzierung dieser Ausgaben 10 % weniger Gesamteinnahmen aus Steuern und Nettotransferzahlungen des Landes zur Verfügung (vgl. Grafik 3). Das Ergebnis einer längerfristigen Betrachtung dieser Einnahmen im Ländervergleich kann der Grafik 4 entnommen werden.

"In unserem Kommunalbericht zeigen wir auf, dass die Kommunen die im Ländervergleich relativen Mehrkosten für Soziales und Jugend durch 17 % geringere Ausgaben in Bereichen wie Schule, Kultur, Gesundheit, Sport und der Gestaltung der Umwelt kompensierten", fasste Präsident Berres die Analyse des Rechnungshofs zusammen.

Von der kommunalen Seite wird seit Jahren eine nicht auskömmliche Finanzierung der vom Land übertragenen Pflichtaufgaben, insbesondere der nur begrenzt beeinflussbaren Sozialausgaben, beklagt. Im Dezember 2020 wird der Verfassungsgerichtshof aufgrund einer Klage von Kommunen darüber entscheiden, ob Anpassungen im System des kommunalen Finanzausgleichs erforderlich sind.

Aus der Ausgabenstruktur der Kommunen – relativ viel für Soziales, weniger für Schulen etc. – lässt sich allein noch nicht auf die fehlende Auskömmlichkeit der Finanzierung schließen. Die Struktur sagt eher etwas über politische Prioritäten aus. Ob die Finanzmittel "reichen", kann nur die Analyse der einzelnen Bereiche zeigen. So beziffert der Rechnungshof den Investitionsstau für kommunale Straßen und Brücken nach derzeitigem Stand auf über 2 Mrd. €. Hier zeigt sich eine seit Jahrzehnten zu geringe Investitionstätigkeit, die auch in den Investitionsausgaben der Kernhaushalte zum Ausdruck kommt und von kommunaler Seite ebenfalls beklagt wird (vgl. Grafik 5). Preisbereinigt lagen sie 2017 um rund ein Drittel unter den Ausgaben des Jahres 1991.

Nachdem die kommunale Verschuldung 2017 und 2018 rückläufig gewesen war, erhöhte sie sich 2019 um 48 Mio. €. Der Gesamtbetrag von 12,1 Mrd. € setzte sich aus investiven Schulden von 6,1 Mrd. € (+ 2,7 %) und konsumtiven Schulden aus Liquiditätskrediten von 6,0 Mrd. € (- 1,9 %) zusammen. Die Pro-Kopf-Verschuldung durch Kommunalkredite war mit 2.958 € im Ländervergleich die zweithöchste nach dem Saarland (Grafiken 6 und 7). Rheinland-pfälzische Kommunen mussten damit 128 Mio. € mehr für Zinsen ausgeben als der Durchschnitt der übrigen Flächenländer, Finanzmittel, die für dringende Bedarfe an anderer Stelle nicht zur Verfügung stehen (vgl. Grafik 8).

Der Grad der Verschuldung zeigt damit die Notwendigkeit verstärkter Konsolidierungsanstrengungen. Konsumtive Schulden schaffen – im Unterschied zu den Krediten für Investitionen – keine Werte, sondern belasten künftige Generationen. Zinssteigerungen, die in der näheren Zukunft unwahrscheinlich sind, aber nicht dauerhaft ausgeschlossen werden können, hätten noch deutlichere Mehrbelastungen zur Folge. Würden die Liquiditätskredite wie in den konjunkturell guten Jahren 2017 bis 2019 getilgt werden, wären rechnerisch 32 Jahre nötig, um den Schuldenberg abzutragen. "Vor diesem Hintergrund sollten Land und hochverschuldete Kommunen Konsolidierungsvereinbarungen anstreben, um diesen Kommunen noch Gestaltungsmöglichkeiten für die Zukunft zu eröffnen", kommentierte Präsident Berres.

Die Finanzlage der Kommunen wird aktuell durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie weiter angespannt. Darauf deuten Kennzahlen für das erste Halbjahr 2020 hin. Bund und Land unternehmen derzeit Anstrengungen, um die Folgen auch für die Kommunen abzumildern, z. B. bei der Gewerbesteuer. Ferner garantiert der Stabilisierungsmechanismus im Finanzausgleich den Kommunen in der Krise noch steigende Finanzmittel. Dennoch werden Einnahmenrückgänge die Kommunalhaushalte zusätzlich belasten. Für das erste Halbjahr 2020 waren neben einem zu kompensierenden Rückgang bei der Gewerbesteuer um 179 Mio. € auch bei Gebühren Ausfälle um 50 Mio. € gegenüber dem Vergleichshalbjahr 2019 festzustellen.

Gleichzeitig führt die Pandemie zu Mehrausgaben. Zu den konjunkturbedingt höheren Sozialausgaben kommt zusätzlicher Mittelbedarf im Bereich der Schulen (u. a. Digitalisierung) und in der Ordnungs- und Gesundheitsverwaltung. Auch dies schlägt sich bereits in den Zahlen für das erste Halbjahr 2020 nieder: Die laufenden Sachausgaben übertrafen den Vorjahreswert um 103 Mio. €, die Personalausgaben fielen um 83 Mio. € und die Sozialausgaben um 50 Mio. € höher aus.

In den aktuellen Debatten um die finanziellen Auswirkungen der Pandemie sind gezielte Ausgaben und Investitionen zur Überwindung der Krise angezeigt. Gleichzeitig sind die Kommunen jedoch gehalten, Einsparmöglichkeiten konsequent zu nutzen und vorhandene Einnahmemöglichkeiten ausschöpfen.

Die Mehrzahl der Kommunen in Rheinland-Pfalz war auf die Krise unter anderem durch die seit Jahren zu geringen Realsteuerhebesätze schlechter vorbereitet als die Kommunen in anderen Ländern. Der Rechnungshof hat wiederholt auf mögliche Mehreinnahmen bei den Realsteuern (insbesondere Grundsteuer B und Gewerbesteuer) hingewiesen. Rheinland-pfälzische Kommunen verfügten 2019 über fast 15 % oder 434 Mio. € netto weniger Einnahmen aus Realsteuern als andere Flächenländer. Auch wenn diese Lücke kaum geschlossen werden kann, wäre eine Anhebung auf den Durchschnitt der Flächenländer rechnerisch mit Mehreinnahmen von 178 Mio. € verbunden. Mit einer angemessenen Einbindung der Bürgerinnen und Bürger in die Finanzierung zunehmender öffentlicher Leistungen könnten in vielen Kommunen die Defizite weiter verringert oder ausgeglichen werden. Den Haushalt auszugleichen bzw. die Defizite zumindest so gering wie möglich zu halten, sei zudem eine gesetzliche Verpflichtung, die von der Kommunalaufsicht zu überwachen ist. "Steuererhöhungen sind auch für den Rechnungshof die Ultima Ratio. Daher sollten auch in einer Krise Einsparmöglichkeiten konsequent genutzt und über die Prioritäten von Ausgaben neu befunden werden", erläuterte Präsident Berres.

Konsolidierungsmöglichkeiten zeigt der Rechnungshof regelmäßig in seinen Prüfungen und Kommunalberichten auf. Auch der nun vorgelegte Kommunalbericht 2020 liefert anschauliche Beispiele für vermeidbare Ausgaben und unwirtschaftliches Handeln. Konkret enthält er neben der Analyse der kommunalen Haushaltslage Beiträge zu den Themen:

  • Leistungsentgelte mit wenig Leistungsbezug für Tarifbeschäftigte der Kommunen
  • Rechtswidrige Zulagen für vorzeitigen Ruhestand und Treue zum Arbeitgeber
  • Das "Konversionsprojekt" eines überschuldeten Landkreises als Luftschloss
  • Verzichtbare und unwirtschaftliche Rechtsberatung und Prozessvertretung einer Stadtchefin durch eine Wirtschaftskanzlei
  • Die "Baustellen" des Erhaltungsmanagements von Gemeindestraßennetzen
  • Gut gemeinter, aber schlecht gemachter Klimaschutz mit geothermischen Anlagen in kommunalen Liegenschaften

 

Die PDF-Version der Pressemitteilung mit Grafiken und Kurzzusammenfassungen der weiteren Beiträge sowie den Kommunalbericht finden Sie hier.