Kommunalbericht 2023: Absehbares Ende des Steuerbooms zwingt zu kräftigem Tritt auf die Ausgabenbremse

"Die rheinland-pfälzischen Kommunen konnten in der Gesamtbetrachtung auch das Jahr 2022 wieder mit einem deutlichen Überschuss abschließen. Sehr hohe Steuereinnahmen haben die stark gewachsenen Ausgaben noch einmal übertroffen. Über den Finanzausgleich profitieren davon auch strukturschwächere Gemeinden und Gemeindeverbände. Es ist aber zumindest für die Jahre 2023 und 2024 davon auszugehen, dass wieder deutlich weniger zu verteilen sein wird. Die Konjunkturaussichten trüben sich ein", kommentierte Rechnungshofpräsident Jörg Berres anlässlich der Vorstellung des Kommunalberichts 2023.

Gekennzeichnet wird die Finanzlage weiterhin durch das interkommunale Gefälle. 94 % des Gesamtüberschusses von 939 Mio. € entfielen auf Mainz und Idar-Oberstein. Die übrigen mehr als 2.400 Gebietskörperschaften trugen gerade mal 57 Mio. € zum Gesamtsaldo bei. Mehr als ein Drittel von ihnen verfehlte den Kassenausgleich.

Ausgabenwachstum übertrifft Anstieg der Einnahmen

Die Gesamteinnahmen der Kommunen stiegen um 978 Mio. € (5,4 %) auf 19.050 Mio. €. Allein die Steuereinnahmen wuchsen um 800 Mio. € auf 6.709 Mio. € an. Der Pro-Kopf-Wert von 1.616 € übertraf 2022 erstmals den Durchschnitt der Flächenländer. Treiber war erneut die Gewerbesteuer. Ohne Mainz und Idar-Oberstein blieben die Pro-Kopf-Steuereinnahmen allerdings deutlich unterdurchschnittlich.

Die Zuweisungen lagen leicht über dem Vorjahresniveau und erreichten knapp 10,2 Mrd. €. Die darin enthaltenen Transferzahlungen des Landes stagnierten.

Die Gesamtausgaben nahmen in noch höherem Maße zu als die Einnahmen. Sie stiegen mit einem Zuwachs um 5,8 % auf insgesamt 18.111 Mio. €. Der Anstieg lag über dem langjährigen Mittel (4,7 %). Der größte Block bleiben die Personalausgaben mit 3.849 Mio. € (+ 3,6 %). Für sie geben die Kommunen jeden vierten eingenommenen Euro aus. Auch der Personalbestand wuchs mit 3,1 % spürbar gegenüber dem Vorjahr an.

Investitionen betrafen nur 11 % der Ausgaben der kommunalen Kernhaushalte. Ein Großteil der 1.721 Mio. € floss in Baumaßnahmen. Bei dem Zuwachs gegenüber 2021 (16 %) muss der noch stärkere Anstieg der Baupreise berücksichtigt werden. Preisbereinigt erreichten die Investitionsausgaben 2020 nicht einmal 80 % des Niveaus des Jahres 1991.

Die Zinsausgaben der Kommunen – 2022 insgesamt 216 Mio. € – blieben in den letzten drei Jahren nahezu unverändert. Sie übertrafen mit 52 € je Einwohner den Flächenländerdurchschnitt von 21 € je Einwohner um das 2,5-Fache. Das entsprach rechnerischen Mehrausgaben von 129 Mio. €.

2022 zahlten die Gemeinden und Gemeindeverbände für ihre Kredite rechnerisch im Durchschnitt 1,4 % an Zinsen. Die Europäische Zentralbank hat den Leitzinssatz zuletzt deutlich angehoben (September 2023: 4,5 %). Da sich die kommunalen Kredite voraussichtlich verteuern werden, kommt der beabsichtigten Teilentschuldung durch das Land besondere Bedeutung zu.

Fallzahlen und Kosten von Sozialleistungen in Rheinland-Pfalz teilweise deutlich überdurchschnittlich  

Sozialleistungen waren mit 3.580 Mio. € nach den Personalausgaben der zweitgrößte Ausgabenblock. Fast ein Drittel entfiel auf die Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen, gefolgt von Jugendhilfe (rund 20 %) und Sozialhilfe (18 %). In den letzten zehn Jahren stiegen die kommunalen Ausgaben für Sozialleistungen jährlich um durchschnittlich 4,4 %. Zuletzt waren es 5,6 %.

Auffällig ist, dass die Empfängerzahlen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen in Rheinland-Pfalz seit einigen Jahren unter dem Durchschnitt der Flächenländer liegen. Gleichzeitig sind die Ausgaben vergleichsweise hoch. Dies erklärt sich durch die höchsten Fallkosten aller Flächenländer, die 2021 ein Drittel über dem Durchschnitt lagen. Hauptursache dürften höhere Vergütungen der beauftragten Leistungserbringer (Träger von Einrichtungen und Diensten der Wohlfahrtspflege, z. B. für Werkstätten für behinderte Menschen) sein.

Auch die Ausgaben für Erziehungs- und Eingliederungshilfen für junge Menschen lagen über dem Flächenländerdurchschnitt. Zurückzuführen sind die höheren Ausgaben auf die überdurchschnittliche Anzahl an Hilfen. Dies ist bemerkenswert, da in Rheinland-Pfalz relativ wenige Familien Leistungen der sozialen Mindestsicherung beziehen, wobei ein bedeutender Anteil der Jugendhilfe auf solche Familien entfällt. Besonders Hilfen in Heimen und betreuten Wohnformen wurden von rheinland-pfälzischen Jugendämtern deutlich überdurchschnittlich gewährt.

Leistungen der Hilfe zur Pflege in Einrichtungen erhielten in Rheinland-Pfalz in den letzten Jahren bezogen auf die Einwohner weniger Menschen als im Durchschnitt der Flächenländer. Jedoch waren auch hier die Fallkosten überdurchschnittlich hoch. Grund waren die relativ hohen Heimentgelte, die nur in drei Flächenländern noch übertroffen wurden. Der Beitrag Nr. 2 des diesjährigen Kommunalberichts beleuchtet diese Leistungsart näher.

Geht man von den durchschnittlichen Ausgaben der Flächenländer aus, ergeben sich für die genannten Leistungen für Rheinland-Pfalz Mehrausgaben von 368 Mio. €. Davon mussten die Kommunen 238 Mio. € tragen, die sie über allgemeine Deckungsmittel (Steuern, allgemeine Finanzzuweisungen) finanzieren.

Kein Schuldenabbau aus eigener Kraft

Anders als in den beiden Vorjahren nahm die Gesamtverschuldung der kommunalen Kernhaushalte wieder leicht zu, um 73 Mio. € (0,6 %) auf 11.961 Mio. €. Während die Investitionskredite etwas anwuchsen, blieb die Liquiditätskreditverschuldung fast unverändert (5.055 Mio. €). Hier entfiel mehr als die Hälfte auf die kreisfreien Städte.

Die Pro-Kopf-Verschuldung verharrte auf dem „Spitzenplatz“ der Flächenländer und entsprach mit 2.886 € je Einwohner fast dem 1,9-Fachen des Durchschnitts.

Wenn das Land ab 2024 mit 3 Mrd. € etwa die Hälfte der kommunalen Liquiditätskredite übernimmt, wird sich dies spürbar auf die Verschuldung der Kommunen auswirken und auch deren Zinslast verringern. Allerdings hätte die Pro-Kopf-Verschuldung 2022 auch dann noch klar über dem Durchschnitt gelegen, wenn die Teilentschuldung bereits vollzogen worden wäre.

Dies zeigt, dass erhebliche Eigenanstrengungen der Kommunen zum Abbau ihrer Verbindlichkeiten unverzichtbar bleiben werden.

Gemeinsame Anstrengungen von Land und Kommunen erforderlich

2023 haben deutlich mehr Landkreise und Städte ausgeglichen geplante Haushalte vorgelegt als in der Vergangenheit. Diese positive Entwicklung gilt es zu verstetigen. „Das Gebot des Haushaltsausgleichs gilt nicht nur in Zeiten des Steuerbooms“, bemerkte Präsident Berres.

Die jüngsten Steuerschätzungen und Konjunkturprognosen lassen zumindest für die Jahre 2023 und 2024 deutlich geringere Einnahmen erwarten. Gleichzeitig werden der wachsende Personalbestand und der vergleichsweise hohe Tarifabschluss vom April 2023 die kommunalen Haushalte stark belasten. Hinzu kommen absehbar steigende Sozialausgaben und die allgemeine Preisentwicklung.

Damit die Kommunen ihre Aufgaben ohne neue Schulden bewältigen können, gibt es mit dem Land ein gemeinsames Interesse an dauerhaft leistungsfähigen Gemeinden und Gemeindeverbänden. Neben deren Teilentschuldung und einem nun bedarfsorientierten Finanzausgleich spielen hier zudem neue Regelungen, wie die Tilgungspflicht und die Genehmigungspflicht für Liquiditätskredite, eine wichtige Rolle.

„Eine Konsolidierung der Kommunalfinanzen kann aber dauerhaft nur gelingen, wenn Land und Kommunen ihren Pflichten umfassend nachkommen“, so Präsident Berres.

Eine Reihe von Kommunen werden ihre Einnahme- und Einsparpotenziale konsequent ausschöpfen müssen, um ihre Haushalte ausgleichen zu können. Das hat auch der Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil vom 16. Dezember 2020 klargestellt. Bei den Realsteuereinnahmen, insbesondere bei der Grundsteuer B, sind die rechtlich zulässigen Spielräume längst nicht ausgeschöpft. Maßstab ist hierbei nicht der Flächenländerdurchschnitt, sondern der Haushaltsausgleich. Um den zu erreichen, sind ggf. auch deutlich überdurchschnittliche Hebesätze zu beschließen.

Zuvor sollten die Kommunen jedoch in Leistungsbereichen mit der Möglichkeit der Gegenfinanzierung ihre Kosten verursachungsgerecht geltend machen und diese nicht über Schulden finanzieren. Der aktuelle Kommunalbericht zeigt die Versäumnisse von Kommunalverwaltungen bei Gebühren und Verwaltungskostenerstattungen auf. Die Einnahmeausfälle fallen auch hier ins Gewicht.

Ebenso sind auf der Ausgabenseite vor weiteren Steuererhöhungen noch bedeutende Konsolidierungspotenziale zu nutzen, wie der diesjährige Kommunalbericht für den Sozialbereich verdeutlicht. Hier entscheiden die Sozial- und Jugendämter im Rahmen der Fallbearbeitungen über die Ausgaben maßgeblich mit.    

Das Land ist ebenfalls in verschiedenen Bereichen gefordert, die Konsolidierung der Kommunalfinanzen aktiv zu unterstützen bzw. kommunalaufsichtlich zu gewährleisten. Auf der Ausgabenseite zählen hierzu die grundsätzliche Überprüfung von Vorgaben des Landes zum Standard öffentlicher Leistungen sowie die Möglichkeiten einer angemessenen Gegenfinanzierung durch deren Nutzer. Den Kommunen muss bei Ausschöpfung ihrer Einnahme- und Einsparpotenziale eine Mitfinanzierung ohne neue konsumtive Schulden möglich sein. Für die Jahre 2023 und 2024 stellt sich im bedarfsorientierten Finanzausgleich konkret die Frage, ob die Mindestfinanzausstattung der Kommunen tatsächlich adäquat bemessen ist. Ihr lagen hinsichtlich der Preissteigerung und der Ausgaben im Bereich Asyl Annahmen zugrunde, die durch die Entwicklungen überholt wurden.

Die Hoffnung auf eine echte Trendwende für die rheinland-pfälzischen Kommunalfinanzen wird mit der Reform des Kommunalen Finanzausgleichs, der Teilentschuldung der Kommunen sowie einer zuletzt konsequenteren Kommunalaufsicht begründet. Allerdings hat der Rechnungshof für Kommunen, die aus eigener Kraft ihre Haushalte nicht ausgleichen können, weitere Maßnahmen empfohlen. Hierzu zählen Härtefallhilfen zur Vermeidung von neuen Liquiditätskrediten und damit verbundene Konsolidierungsvereinbarungen, um diese Ziele kontrolliert erreichen zu können.

Wenig hilfreich und eher Anlass zur Sorge sind aktuelle Hinweise des Innenministeriums an die bei Haushaltsdefiziten einschreitenden Kommunalaufsichtsbehörden. Darin heißt es, der – gesetzlich geforderte – Haushaltsausgleich sei „kein Selbstzweck“. Auch „perspektivische Einnahmen“ könnten in die Beurteilung der Haushaltspläne einfließen, und der Haushaltsausgleich sei auch über einen Zeitraum von zehn Jahren möglich. Hierzu Präsident Berres: „Damit werden die Funktion des gesetzlichen Haushaltsausgleichsgebots als kommunale Schuldenbremse erneut infrage gestellt und die Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs missachtet. Eine Aufsichtspraxis mit diesen Maßgaben wäre mit dem geltenden Recht schlicht nicht vereinbar. Kommunen, die 2023 unter teilweise erheblichen Anstrengungen den Ausgleich in der Planung erreicht haben, dürften sich fragen, ob ihre Bemühungen um eine rechtskonforme Haushaltswirtschaft überhaupt nötig waren.“

Im Grunde öffnen die Hinweise des Ministeriums an die Kommunalaufsicht erneut die Tür für eine Neuverschuldung mit Liquiditätskrediten und eine Belastung künftiger Generationen.

Mit Blick auf die Leistungsfähigkeit der Kommunalstrukturen bleibt zu guter Letzt auch die Fortsetzung der Gebietsreform ein Thema. Hier bewegt sich seit Jahren nur wenig. Jede fünfte deutsche Kommune liegt in Rheinland-Pfalz, wo gerade mal 5 % der Einwohner Deutschlands leben. „Eine konsequente Kommunal- und Verwaltungsreform, die auch Landkreise und kreisfreie Städte nicht ausblendet, würde die finanziellen Vorteile größerer Verwaltungseinheiten erschließen. Mit der Bündelung von Aufgaben könnte sie zudem eine Antwort auf den zunehmenden Fachkräftemangel sein. Die längst akuten Probleme bei der Personalgewinnung drohen die Aufgabenerledigung der Kommunalverwaltungen auf Dauer zu gefährden“, bemerkte Präsident Berres abschließend.

 

Die gesamte Pressemitteilung und den Kommunalbericht 2023 finden Sie hier.